Filmische Mehrkanal-Installation

Hydrocarbons

Fr 1.12.2017
19.30h
Abendticket: 6€/4€
Filmstill aus Le Salaire de la Peur (1953)

Hydrocarbons taucht ein in die Komplexität und Widersprüche des Erdöl-Zeitalters und damit in die molekulare Grundlage der Technosphäre. Im Zentrum der Mehrkanalinstallation stehen emblematische Sequenzen aus dem Film Le salaire de la peur (1953, dt. Lohn der Angst). Der Film erzählt von vier Europäern, allesamt gesellschaftliche Außenseiter. Zu Beginn sieht man sie in LKW mit Kanistern voll Nitroglyzerin, das eine brennende Ölquelle löschen soll. Als Live-Erzählerin schildert die Autorin Priya Basil die Hintergründe der Filmhandlung, die durch die Projektion in Super Slo-Mo monumentalisiert wird. Durch die Verbindung der Filmszenen mit Forschungsmaterialien und Öl-Tonspuren erkundet Hydrocarbons ein kulturelles Genre, das sich als „Petro Noir“ betiteln ließe. Es eröffnet Perspektiven auf den geopolitisch-industriellen Komplex der Petrochemie und seine molekulare Basis, auf Mobilität, Konsum, Abenteuer und kulturelle Verschwendung.

Programm in Zusammenarbeit mit der Gruppe Beauty of Oil: Alexander Klose, Benjamin Steininger und Bernd Hopfengärtner


19.45h
Dieter Hiller
Las Piedras
Technosphere as Frontier · Industrial Knowledge · Concepts of Environment

Diskussion

In der ersten Szene von Le salaire de la peur wird die Ölindustrie als eine der expansivsten Technologien der Moderne vorgestellt. Ihre Anfänge liegen in der zweiten Hälfte des 19. und im frühen 20. Jahrhundert. Um 1948 wird die Branche dann zu einer globalen: Sie dringt in die Wüste, den Dschungel und den Meeresboden vor. Überall wird nach Öl gebohrt. Auf neuen und immer größeren Feldern wird Öl gefördert – auf der arabischen Halbinsel, in Südamerika, auch in Ost- und Westeuropa. Im Gespräch mit dem Industrieexperten Dieter Hiller geht es um die Anpassung der sozialen und politischen Strukturen aber auch der Ökosysteme an Fördertechnologien, die Natur und Kultur nachhaltig verändert haben.


20.15h
Oxana Timofeeva
The Geo-Power of Oil
Material Power · Economies of Excess · The Capitalist Unconscious

Präsentation und Kommentare

Szene zwei entfaltet ein Panorama der Machtverhältnisse: eine riesige Figur aus Feuer und Rauch; die rasende Maschinerie von Fahrzeugen und Arbeitern und eine Gruppe Indigener, die auf die Flammen blicken. Öl-Arbeit ist explosiv und dreckig. Und meist finden sich die schmutzigsten Teile der Produktion in (post-)kolonialen Kontexten, wo die soziale Schichtung extrem ist und die Ausbeutung von Arbeitskraft und Umwelt das Land und Leben prägen. Was bedeuten diese Extraktionsprozesse für die materielle Organisation sozialer Strukturen und die betroffenen Landschaften? Oxana Timofeeva erörtert diese Asymmetrien und Volatilitäten anhand von Begrifflichkeiten der Geo-Macht, benennt die lokalen und globalen, materiellen und gesellschaftlichen Umstände, die durch Exzess und Wirkungsmacht der Kohlenwasserstoffe und ihrer Gewinnung geformt werden.


20.45h
Jens Soentgen
Explosions
Initial Ignition · Mobilization · Cults of Combustion

Präsentation und Kommentare

Eine brennende Ölquelle lässt sich nur löschen, indem man sie zur Explosion bringt. Anhand der Tragödie des explodierenden Lastwagens in Lohn der Angst lässt sich ein ganzes Universum der Wissenschaft, Industrie und Energiepolitik aufmachen. Heute kommt es stündlich zu Billionen von kleinen Explosionen in Verbrennungsmotoren. Stickstoff- und Kohlenwasserstoffchemie gestalten sowohl das Gesicht der Erde als auch die politischen Dimensionen auf ihr durch die buchstäbliche Freisetzung der Moleküle der Technosphäre. Der Chemiker und Philosoph Jens Soentgen demonstriert die Logik des Explosiven, die in all diesen Mobilisierungen wirkt.


21.15h
Stephanie LeMenager, Alexander Ilitschewski gelesen von Marina Frenk
Oil Lake
Petro Melancholia · Easy Oil · Tough Oil · Post Oil · Petro Fear

Präsentation, Lesung, Kommentare

Eine Pipeline explodiert, ein Leck entsteht, ein schwarzer See bildet sich. Was zeigt sich im schwarzen Spiegelbild des ausgelaufenen Öls? Es ist die verlorene Hoffnung der westlichen und östlichen Hemisphäre. Kunststoff ist schon lange kein avantgardistisches Material mehr. Autos sind nicht mehr das Transportmittel in die Welt der Freiheit. Fossile Brennstoffe garantieren keine Gesellschaft, die auf sozialer Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Wohlstand für alle gründet. Die Kulturwissenschaftlerin und Umweltaktivistin Stephanie LeMenager prägte den Begriff der „Petro-Melancholie“ als Beschreibung für den kollektiven Gemütszustand in ihrer US-amerikanischen Heimat. Anhand der vierten Szene aus Lohn der Angst diskutiert sie ihr analytisches Konzept im Kontext des „Petro noir“. Alexander Ilitschewski hat mit Praktiken und Metaphysik des Öls eigens für die Veranstaltung einen Essay und Kommentar zur gegenwärtigen Situation der Petrokultur verfasst, die von der Erzählung Kara Bugaz (1932) des russischen Autors und Journalisten Konstantin Paustovskij inspiriert ist.


22h
Dieter Hiller, Stephanie LeMenager, Jens Soentgen, Oxana Timofeeva
Oil Man
Dark Matter · Oil-Anthropology· Petroculture Without Oil?

Diskussion moderiert von Alexander Klose und Benjamin Steininger

Eine in Öl badende Kreatur, vage als menschliches Lebewesen erkennbar – wurde sie in den schwarzen See gestoßen oder steigt sie aus ihm hervor? Oft wird übersehen, wie sehr die Technosphäre und auch die moderne Subjektivität vom Erdöl geprägt sind. Doch durch Dünger und industrialisierte Landwirtschaft gelangt Öl sogar in unser Essen. Industrielle Kohlenwasserstoffe fließen durch unsere Adern, lagern in unseren Mägen, bevölkern unsere Träume und Gedanken. Sie treiben sowohl den Mainstreams als auch die Gegenkultur an. Nun, da die Zivilisation im globalen Zeitalter des Erdöls angekommen ist, ist der Mensch vielmehr zum ölbasierten Wesen geworden. Werden wir das Öl wieder aus unseren Adern verbannen können? Wollen wir das überhaupt? Und gibt es schon geeignete Konzepte um diese außergewöhnliche Symbiose mit einer Substanz zu verstehen, die ebenso fossil wie modern ist?

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