1978: Bürgerversammlung amerikanisch

Jimmy Carter und Henry Kissinger in der Kongresshalle

15. Juli 1978, Die Ansprache des Präsidenten zum "Bürgertreffen mit Jimmy Carter" in der Kongresshalle, Fotograf & Copyright: Ronald Urbaschek

Es ist inzwischen fast schon ein Ritual: Als der amerikanische Präsident Jimmy Carter 1978 Berlin besucht, fährt er eine schon wohlbekannte Route durch die Stadt, das heißt erst zum Luftbrückendenkmal, dann zur Kongresshalle. Die DDR protestiert – wie immer – gegen den Besuch und sorgt – wie gehabt – für Ärger auf den Transitstrecken. Gegen die Verkehrsbehinderungen verwahren sich – gewohnheitsgemäß – die Westalliierten und Westdeutschen, handeln aber – erwartungsgemäß – nicht weiter. Bundeskanzler Schmidt bezeichnet die Verkehrsverzögerungen in seiner Rede am Platz der Luftbrücke als „Nadelstiche“. Geschäft wie üblich, 1978 lautet das Stichwort eben „Entspannung“. Helmut Schmidt betont die gemeinsamen westdeutsch-amerikanischen Bemühungen um den Frieden und die große Verbundenheit zwischen Deutschen und Amerikanern - die in der Kongresshalle ihren Ausdruck gefunden haben. Auf seinem Weg zur Halle macht Carter aber noch einen Schlenker zum Potsdamer Platz und wirft einen langen Blick über die Grenzanlagen. „Das ist das erste Mal in der Geschichte, dass eine Mauer gebaut wurde, nicht um eine Nation vor ausländischen Aggressoren zu schützen, sondern um den eigenen Leuten das Recht vorzuenthalten, wegzulaufen,“ ist sein Kommentar. Dann aber findet in der Kongresshalle, etwas Neues statt: Eine Stunde lang führt der Präsident ein Gespräch mit Berliner Bürgern, ganz nach amerikanischem „town meeting“-Vorbild. Rund 1000 „höfliche, konservativ gekleidete Zuschauer“ – so die New York Times - haben Karten erhalten. Sie fragen ohne jede Scheu, und sie sind begeistert über Carters markigen Spruch im Stil JFKs: „Was immer sei, Berlin bleibt frei“. Jimmy Carter, der oft als nicht ganz so geschickter Erdnuss-Farmer karikiert wird, zeigt sich derartig beschlagen in seinen Antworten, dass die ihn begleitenden amerikanischen Journalisten behaupten: „Das macht er hier besser als zu Hause.“

Der Besuch ist ein so großer Erfolg, dass im Dezember in der Kongresshalle gleich ein weiteres deutsch-amerikanisches „Stadtgespräch“ folgt: Diesmal redet Henry Kissinger mit einem vollbesetzten Auditorium. Unter den Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford war Kissinger als Berater für Außen- und Sicherheitspolitik und später als Außenminister Hardliner in der Politik in Südostasien und Lateinamerika – und zugleich einer der Pioniere der Ost-West-Entspannung. Besorgt über deren zukünftigen Gang stellt er bei der Diskussion in der Kongresshalle klar, dass sie kein Ersatz für westliche Willensstärke sein könne. Aber er wolle – anders als Carter – Menschenrechtsverletzungen lieber nicht öffentlich anprangern, um das gegnerische Regime nicht zu blamieren und ihm so mehr Handlungsspielraum zu lassen. Im Prinzip sind sich wieder alle einig.
Dina Koschorreck

Berliner Morgenpost 16.7.1978
New York Times 16.7.1978, 4.12.1978
Tagesspiegel 15.7.1978
Der Abend 4.12.1978
www.cnn.com/SPECIALS/cold.war/episodes/18/documents/cia.chile/
The daily diary of President Jimmy Carter, July 15,1978