1992: Ein Denkzettel für das Aushängeschild

Das HKW hat 250 000 Besucher im Jahr und ist dennoch in seiner Existenz bedroht

Im "Palast der Götter", Gott Siva in seiner androgynen Form, (c) Government Museum, Mathura

Der „Palast der Götter“, glanzvoller Höhepunkt und Abschluss des „Festivals of India“ , das immerhin schon im Sommer 1991 begonnen hatte, vereint „1500 Jahre Kunst aus Indien“ und zieht zur optimalen Präsentation in die Orangerie des Schlosses Charlottenburg. In den eigenen Ausstellungshallen gibt die Schau „Inka – Peru“ einen einzigartigen Überblick auf „3000 Jahre indianische Hochkulturen“, bevor sie die Räume frei macht für Alltagskultur der westafrikanischen Savanne unter dem selbstbewussten Titel: „Tuma Be! – Die Zeit ist da!“

Die Zeit ist da, um im Haus der Kulturen der Welt nicht nur hochkarätige Kulturveranstaltungen zu präsentieren. Es geht auch um die Einbindung populärer Formen und aktueller Themen. So wird die kostbare Peru-Ausstellung begleitet von einer Diskussionsreihe zur Guerilla-Bewegung „Sendero Luminoso“, und zu den alten Göttern Indiens gesellen sich zeitgenössisches indisches Theater und ein Rundblick auf das „Filmland Indien“. In internationalen Konferenzen geht es – man möchte meinen lange „vor der Zeit“ – um „Frauen, Demokratie und Islam“ oder um „Muslime in Europa“.

Breit gefächert ist das musikalische Programm, das von der Tradition bis zur Popkultur reicht. Streifzüge führen unter anderem nach Argentinien, Korea und zur Elfenbeinküste. Explosive Musik aus Afrika und der Karibik vereinen sich beim „Tanz der Kontinente“. Stilistisch grenzenlos erspielt sich „Jazz Across the Border“ auf der Dachterrasse des Hauses eine große Fangemeinde. Zu einem Höhepunkt wird das Carribean Music Village an der Spree mit Konzerten, Workshops, Kinderprogramm, Bootsfahrten und der fesselnden jamaikanischen Tradition des Story Telling. Das Geschichtenerzählen unter freiem Himmel wird in lauen Sommernächten fortgeführt mit erotischer Literatur von Frauen aus Brasilien. Nun tummeln sich nicht nur die Grill- und Picknickfans auf den Wiesen um das Haus der Kulturen der Welt – ein Sommermärchen im Tiergarten, lange vor der Fanmeile.

Von Indien nach Lateinamerika und über die Karibik bis nach Afrika: Die Stationen haben nicht ganz zufällig mehr oder weniger mit Kolumbus zu tun. 1992 ist das Jahr 500 nach der „Entdeckung der Neuen Welt“ oder, wie die „Entdeckten“ den Erinnerungstag nennen: der „Begegnung zweier Welten“. In ganz Berlin wird aus diesem Anlass die „Columbiade“ begangen; zahlreiche Veranstaltungen finden im Haus der Kulturen der Welt statt. Es beginnt mit der Begegnung von noch wenig bekannten Erzählern aus Mexiko, die später im Jahr auch auf der Buchmesse in Frankfurt gefeiert werden. Mitreißende Theater- und Tanzgastspiele kommen aus Brasilien und Argentinien, eine Filmreihe umfasst „500 Jahre Lateinamerika“. Das Festival Traditioneller Musik lädt zur „Fiesta“ mit uralten Riten, Tänzen und Gesängen, während nebenan im Tempodrom die fünften Heimatklänge mit „Carnevale Caribe“ zum Mittanzen animieren.

Bis zum Jahresende haben 250 000 Menschen das Haus der Kulturen der Welt besucht, doppelt so viele wie im Vorjahr. Im vierten Jahr seiner Programmarbeit ist das HKW fest verwurzelt in der Berliner Kulturlandschaft und hat sich zu einem populären Treffpunkt entwickelt. Doch hinter den Kulissen braut sich etwas zusammen. Zunächst dringen nur Gerüchte nach draußen, aber dann wird die Öffentlichkeit alarmiert: Das Haus der Kulturen der Welt, ursprünglich in einem toten Winkel Westberlins gelegen, ist durch den Mauerfall ins Zentrum gerückt, das weckt die unterschiedlichsten Begehrlichkeiten, vorrangig bei der Politik, die ein Jahr zuvor Berlin zum Regierungssitz erkoren hat. Jetzt streckt der Bund seine Hand aus nach diesem attraktiven Gebäude in idealer Lage, „fußläufig“ zu vielen Einrichtungen im neuen Regierungsviertel. So will die Verwaltung des Deutschen Bundestags ihre Informations- und Besucherdienste für die Dauer des Reichstagsumbaus im Haus der Kulturen der Welt unterbringen, was eine radikale Einschränkung der Programmarbeit und langfristig, so wird befürchtet, das Aus bedeuten würde.

Kultursenator Ulrich Roloff-Momin, der ein Jahr später die Schließung des Schiller-Theaters nicht verhindern kann, setzt sich vehement für den Erhalt des Hauses der Kulturen der Welt ein, „Aushängeschild liberaler Kulturpolitik Deutschlands“. Er warnt vor der „Beschneidung seiner Aktivitäten, die nicht nur hier, sondern auch in den Drittländern große Irritationen hervorrufen würde, die wir uns kulturpolitisch, aber auch außenpolitisch nicht leisten können“.

Die Reaktion aus Bonn lässt nicht lange auf sich warten. Dem Haus der Kulturen der Welt werden die Bundesmittel einschneidend gekürzt. Handelt es sich dabei um Erpressung oder Nötigung? Um einen „Denkzettel“, gibt ein Abgeordneter freimütig zu. Kurz vor Jahresende tritt der Bund als Gesellschafter der GmbH bei. Gleichzeitig wird ein Kompromiss gefunden und über „die konkrete räumliche Ausformung der Arbeit der Besucherdienste des deutschen Bundestages“ Einvernehmen erzielt. Nun könne sich das HdKdW „ganz auf die Vermittlung von Kenntnissen über ausländische Kulturen konzentrieren und die bisherige beispielhafte und erfolgreiche Arbeit fortsetzen“, lässt die Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten mitteilen.
Die Zuschüsse allerdings bleiben gekürzt.
Ortrun Egelkraut

Ortrun Egelkraut war bis Februar 1992 Kulturredakteurin beim „Spandauer Volksblatt/ Volksblatt Berlin“ und arbeitet seither als freie Journalistin, Redakteurin und Reisebuchautorin in Berlin.

die tageszeitung, 19.6.92
DIE ZEIT, 30.10.92
Vivace 11/92