1998: Rum für die Götter

Kunst, Altäre, Rituale

Umbanda Altar , Foto: Jerry L. Thompson , (c) The Museum for African Art

Verstreutes Popcorn auf dem Altar des Omlo, der Gottheit der Krankheit, symbolisiert den Pesthauch von Aids. Autoreifen und Ventilatoren stehen für das Kreisen der Seele. In reich geschmückten Schreinen verbergen sich unter der Gestalt von christlichen Heiligen wie Sta. Barbara Götter wie Chango, der den Blitz regiert. Jesus-Statuen und Plastikindianer bilden eine sakrale Gruppe mit einem Karussellpferd. Daneben stehen Fahnenaltäre aus Surinam, deren Leinenbahnen an die Vorfahren erinnern, gestorben in einem Sklavenaufstand, gleichwohl immer anwesend. Das Haus der Kulturen der Welt hat sich 1998 "Face of the Gods" in die Ausstellungshalle geholt und zeigt Altäre der Nachfahren der Yoruba und Kongo, Nachfahren der Millionen Afrikaner, die über den Atlantik verschleppt wurden. Mit den als Sklaven Verschleppten kamen ihre Rituale in die Amerikas - in die Karibik, nach Brasilien, in die USA. Die Kongo und Yoruba sehen die Altäre als Schnittstelle, "Crossroads" zur anderen Welt. Sie heißen in ihren Sprachen "Antlitz der Götter", sind Orte von deren Besänftigung.

Hier in der Ausstellung stehen die Altäre auf weißem Grund, in nüchterner Atmosphäre. Das schafft Distanz: Die Altäre sind zu lesen wie verschlüsselte Botschaften, in den manchmal profanen und armseligen Materialien ist die Reverenz an die Gottheit zu entdecken, in den prächtigen, barocken "Installationen" die Zweideutigkeit, die Aneignung christlicher Symbolik. Es gilt aufzuspüren: die Kraft gelebten Glaubens und zugleich, wie die afro-amerikanischen Kulte sich bis heute durch Transformation und Aneignung lebendig erhalten haben. Wie dabei "Mix"-Formen entwickelt wurden, die starke, auch künstlerische Wirkungen zeigen. Es geht um Weltbilder der Wanderungen, um Chiffren der Wahrnehmung. Das ist natürlich keinesfalls der Glaube selbst oder eine Einfühlung in den Glauben. In New York, der ersten Station der wandernden Ausstellung, wurden immer wieder Opfergaben niedergelegt, neugeschaffene Altäre feierlich geweiht. Hier in der einzigen deutschen Station werden durstige Gottheiten nur durch bezahlte Angestellte des Hauses turnusmäßig mit Rum versorgt. Aber in New York waren ja auch einige der Altäre erst kurze Zeit zuvor kreiert worden - von Eingeweihten, die in der Bronx leben, keine 20 Meilen von der Wall Street entfernt, oder die in New Jersey Schreine für sieben Götter schaffen, mit Pfauenfedern, Leopardenpelz, bemalter Kokosnuss.

Eineida Assuncao Sanchez, Foto: Jerry L. Thompson , Oju Oxala: Afro-Brazilian Altar to the Yoruba Creator God, (c) The Museum for African Art

Manche der Altäre, die hier stehen, sind also geweihte Sakralgegenstände, andere sind rekonstruiert, wieder andere von Künstlern entworfen. Darunter sind "Stücke", die aus den Ateliers von pop und minimal art zu stammen scheinen. Dabei sind Vergleiche mit gegenwärtigen ästhetischen Formen wie Environment und Installationen unnötig, schließlich ist das Denken, dem die Altäre entspringen, weit älter als jeder Begriff der Kunst. Aber ist eine andere Art der Annäherung für die hiesigen Besucher überhaupt möglich? Auf jeden Fall setzt das Haus der Kulturen der Welt mit dieser "Face of the Gods" das Thema der Spiritualität, ihres Verhältnisses zur Moderne und zur Tradition, ihres Stellenwerts auf der Bedürfnisskala des heutigen Alltagslebens und in der zeitgenössischen Kunst.

Die Ausstellung ist 1998 Teil eines "Dialogs mit den Göttern", den das Haus auch mit Voodoo-Jazz-Konzerten, Performances und einem Symposium führt. In diesem Treffen hören zur Abwechslung einmal Wissenschaftler zu und Künstler reden. So der Tänzer und Vodun-Priester Koffi Koko, der darüber spricht, wie ihn seine Religion gelehrt habe, Dinge und geistige Zustände nicht zu trennen. Sagt`s und tanzt sich ebenso in Trance wie danach Elsa Wolliaston - in der Magie des Rituals, aus dem der Tanz kommt. Diese Auseinandersetzung wird in diesem Jahr noch weitergeführt, mit dem Schamanismus, der treibenden Kraft der modernen koreanischen Kunst. Starregisseur Lee Youn Taek ist mit einem Beispiel seiner Shakespeare- und Antiken-Adaptionen da, in denen er "Hamlet" oder "Ödipus" und ihre Geisterwelten in Formen eines schamanistischen Rituals interpretiert. Eine Zeremonie der Seelenreinigung wird denn auch tatsächlich von der Gruppe "Trans-Island of Waiting Souls" zu Beginn dieses Korea-Kunst-Festival begangen. Einige Stunden lang werden auch die Zuschauer einbezogen, mit Reiswein und Opfergaben, da beginnen Grenzen Kunst : Kult zu verschwimmen und sich Fragen nach der hier waltenden reflektierenden Distanz zu stellen.

Aber wie auch immer: Spiritualität ist ein immer aktuelleres Thema. Wenn man 1998 hat feststellen können, dass immer mehr Weiße sich zu afro-amerikanischen Religionen bekennen, ist heute die Rede vom Comeback der Religionen und Kirchen. Vielleicht wird es immer wichtiger, Spiritualität von verfaßter steuerabzugsfähiger Glaubensgemeinschaft oder Tourismus zu transalpinen Religionsevents zu unterscheiden. Noch dringender natürlich von politischen Wendungen: in unterschiedliche religiöse Pressure Groups oder Gotteskriegernetzwerke.
Axel Besteher-Hegenbart

Süddeutsche Zeitung, 17.2.1998
Frankfurter Rundschau, 28.1.1998
die tageszeitung, 28.1.1998
Der Tagesspiegel, 26.1.1998
Berliner Zeitung, 5.5.1998
Der Tagesspiegel, 13.5.1998
Erika Fischer-Lichte, Schamanismus und Theater, Theater der Zeit, http://www.theaterderzeit.de