Material Reality

Material Reality

„Die Kategorie Material Reality untersucht, wie KünstlerInnen Wahl und Selektion in ihrer materiellen wie ästhetischen Dimension strategisch nutzen: Diese Strategien offenbaren, dass Bilder dazu neigen, einen Überfluss des Status Quo zu demonstrieren. Die Arbeiten offenbaren sozio-ökonomische Beziehungen in einem New York, das in einer ständigen reaktiven Veränderung begriffen ist.“

       

Interview mit Iona Rozeal Brown

geboren 1966 in Washington, DC, USA, lebt und arbeitet in Chillium (MD)

„Ich verließ Washington, DC 1998 und ging für ein Jahr ans Pratt-Institut nach Brooklyn. Von dort wechselte ich an das San Francisco Art Institute, wo ich meinen Bachelor in Bildender Kunst machte. Nach meinem Abschluss blieb ich noch für ein weiteres Jahr in der Gegend, verbrachte allerdings den Sommer in Skowhegan. Im Frühjahr 2000 zog ich zurück nach Washington und ging anschließend nach Yale. Diese Universität verließ ich 2002 und ging wieder zurück nach Washington, um mich dort dauerhaft niederzulassen. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen, denn eigentlich wollte ich nicht zurück, aber heute bin ich froh darüber.“


IRB: Es ist wirklich interessant, in einem fremden Land zu sein und zu sehen, wie Hip-Hop dort aussieht. Man fragt sich: Wer hat das hierher gebracht? Denn man traf dort auf viele der üblichen Gesten, auf schräg aufgesetzte Mützen, die großspurige Attitüde, den Griff in den Schritt, das Rubbing und auf die Behauptung, aus einem bestimmten Field zu kommen. Außerdem gab es noch die Underground-Hip-HopperInnen, mit denen ich mich herumtrieb und meine Zeit verbrachte. In ihren ganz frühen Einflüssen fand ich viele Überschneidungen, was mich wunderte. Im japanischen Theater gibt es das Element „Kogan“, ich weiß nicht, ob Sie es kennen. Im Kabuki- und Bunraku- Puppentheater benutzt man Bilder in Schwarz, der Farbe der Unsichtbarkeit im japanischen Theater. Das heißt, man weiß, dass die Bilder da sind, aber man sieht sie eigentlich nicht. Meiner Ansicht nach neigt der kommerzielle Hip-Hop dazu, von Leuten gemacht zu werden, die ich nicht sehen kann, aber von denen ich weiß, dass sie da sind. Es sind die Fantasien von jemand anderem, jemand anders will sehen, wie sich Schwarze Körper im Tanz winden. Ich liebe Schwarze Frauen, ich finde unsere Körper wunderschön – und weiß Gott, ich wuchs nicht mit einer Beyoncé oder so jemandem auf, in meiner Zeit gab es Farrah Fawcett und Drei Engel für Charlie und nieman- den, mit dem ich mich identifizieren konnte. Einerseits bin ich also begeistert, weil zumindest Schwarze Mädchen andere Schwarze Frauen haben, die sie bewundern können. Wenn sie ein sexy Körperideal haben, muss es nicht unbedingt Twiggy heißen. Aber anscheinend wurde eine bestimmte Grenze überschritten, hinter der es vor allem um kommerzielle Verwertbarkeit geht, und damit habe ich so meine Probleme. Ich reise in ein anderes Land und weil ich ganz und gar nicht so aussehe wie die Frauen in den Videos, wissen die Leute nicht, wie sie mit mir umgehen sollen. Sie wissen nicht, wo sie das kräftig gebaute Schwarze Mädchen mit der riesigen Afro-Frisur einordnen sollen, denn ich sehe keiner der Gestalten, die sie bisher gesehen haben, im Entferntesten ähnlich. Es kommt auch vor, dass Leute von mir erwarten, dass ich auf eine bestimmte Art tanze, die sie in einem Video gesehen haben, obwohl es das auch hierzulande oft gibt, nicht nur in Japan. Aber ich denke, jeder hat ein gewisses Maß an sozialer Verantwortung, wie Michael Eric Dyson es nennt – und der ist Pädagoge, also muss man sich fragen: Bin ich zu pädagogisch, zu belehrend? Lasse ich in Gesprächen mit Jugendlichen und in der Beschäftigung mit einer Kunstform wie Hip-Hop die prüde Seite in mir die Oberhand gewinnen und verstelle mir dadurch den klaren Blick? Ich bin irgendwie hin- und her gerissen. An manchen Tagen gestehe ich mir ein, dass ich mich sehr überheblich und selbstgerecht finde. An anderen Tagen wiederum wird mir bewusst, was diese Jugendlichen geprägt hat, denn wie ich bereits sagte, wuchs ich mit Hip- Hop auf und habe daher viel Erfahrung mit dem Anhören der Rhymes und der Geschichten, die in ihnen erzählt werden. Damals gab es noch nicht so viel davon. Man hatte die Wahl, konnte zu einer Art KRSOne werden, war viel stärker einbezogen: Alles schien gemeinschaftsorientierter zu sein, sich mehr um die Kunst selbst zu drehen, aber damals wurde ja auch niemand dafür bezahlt. Es besteht also ein eigenartiges Dilemma. Die Regeln scheinen umgeschrieben worden zu sein und zu besagen: Okay, wenn du mit dieser Kunstform deinen Lebensunterhalt verdienen willst, dann kannst du es nur so machen.


Aus einem Interview, das von Shaheen Merali im Dezember 2006 in New York geführt wurde.