Teju Cole: Open City

Preisträger 2013

Aus dem Englischen von Christine Richter-Nilsson
Suhrkamp Verlag 2012
(Open City, Random House, New York 2011)

Das Buch

Julius, ein junger Psychiater, durchstreift die Straßen Manhattans, allein und ohne Ziel, stundenlang. Die Bewegung ist ein Ausgleich zur Arbeit, sie strukturiert seine Abende, seine Gedanken. Er lässt sich treiben, und während seine Schritte ihn tragen, denkt er an seine kürzlich zerbrochene Liebesbeziehung, seine Kindheit, seine Isolation in dieser Metropole voller Menschen. Fast unmerklich verzaubert sein Blick die Umgebung, die Stadt blättert sich vor ihm auf, offenbart die Spuren der Menschen, die früher hier lebten. Mit jeder Begegnung, jeder neuen Entdeckung gerät Julius tiefer hinein in die verborgene Gegenwart New Yorks – und schließlich in seine eigene, ihm fremd gewordene Vergangenheit. Getragen vom Fluss seiner bewegenden, klaren Sprache, erzählt Open City eine Geschichte von Erinnerung, Entwurzelung und der erlösenden Kraft der Kunst.

Der Autor

Teju Cole

Die Übersetzerin

Christine Richter-Nilsson ist Dramaturgin und literarische Übersetzerin. Derzeit promoviert sie am Department für German Studies an der Vanderbilt University in Nashville, USA. Von 2002-2010 war sie Dramaturgin in Dresden, Bremen und Bielefeld, wo sie das Theaterfestival "Voices from Undergroundzero" kuratierte und die gleichnamige Anthologie mit Übersetzungen neuer Stücke aus New York herausgab [Theater der Zeit, 2008]. Open City von Teju Cole war ihre erste Romanübersetzung. Im Team mit ihrem Mann Bo Magnus Nilsson übersetzt sie auch aus dem Schwedischen und arbeitet an der Neu-Übersetzung von August Strindbergs Dramen.

Zuletzt erschienen:
Teju Cole: Jeder Tag gehört dem Dieb. Hanser Berlin 2014, aus dem Englischen von Christine Richter-Nilsson (Every Day is for the Thief: A Novel. Cassava Republic Press, Abuja/Nigeria 2007)

Jurykommentar zur Wahl der Preisträger 2013

„Wer dachte, dass sich über New York nichts Neues mehr schreiben ließe – der wird mit Teju Cole und seinem so elektrisierenden wie eleganten Debütroman ‚Open City‘ eines Besseren belehrt. Denn ‚Open City‘ ist Liebesgesang und Nekrolog zugleich auf diese Stadt, die sich in diesem Roman auch uns Lesern noch einmal wie ein palimpsestartiges Buch in ihren historischen und kulturellen Schichtungen erschließt. Coles Ich-Erzähler ist dabei ein Flaneur des 21. Jahrhundert. Mit klinisch kaltem Blick – immerhin ist er ein angehender Psychiater – registriert er in einer von jeglichem Idiom entschlackten Prosa, die essayistische Reflexionen mit poetisch aufgeladener Bildgenauigkeit mischt, die Gewaltkonflikte unserer globalen Welt – ohne je Partei zu nehmen: Er weiß, dass die Rhetorik der Gerechtigkeit in einer Welt der unaufhebbaren Differenz ihre Unschuld verwirkt hat. Ausgehend von der Wunde, die der 11. September 2001 in Coles Heimatstadt geschlagen hat, orchestriert der Autor dabei in subtiler Weise seine vielfältigen Themen – Erinnern und Vergessen, Gewalt und Trauer, Erkenntnis und Blindheit. Dem entspricht die fugenartige Komposition des Textes – deren einzelne Bedeutungsschichten durch kunstvoll gesetzte motivische Resonanzen und Spiegelungen organisch miteinander verwoben sind. New York wird somit zu einer welterschließenden Wahrnehmungs- und Einschreibungsfläche, in der Vergangenheit und Gegenwart, der individuelle Körper und die ‚verwundete Menschheit‘ in symptomatischer Weise aufeinandertreffen.

Christine Richter-Nilsson hat ‚Open City‘ in ein flüssiges, unprätentiöses und gerade darum bestechendes Deutsch übertragen. Elegant passt sich die Übersetzung dem Englischen an, hält sich an dessen Syntax und Duktus, ohne darüber die spezifischen Möglichkeiten und Eigenheiten des Deutschen zu vergessen. Stilsicher nutzt die Übersetzerin die Register der Sprache, um im Deutschen Coles kunstvolle Verflechtungen von essayistischer Reflexion und aufgeladener Bildgenauigkeit zu rekonstruieren. Eben das verleiht der Übersetzung ihre Prägnanz – ihre zurückhaltende Prägnanz. Könnte man annehmen, der Roman sei ursprünglich in Deutsch geschrieben worden? Ja, man kann – und dann glauben, es mit einem zurückhaltenden Autor zu tun zu haben, einem, der seine Kunst versteht, sie aber niemals aufdringlich zur Schau stellt. Eben so ist es mit Christine Richter-Nilssons Übersetzung. So modern und zeitgenössisch das Original ist, so angenehm nüchtern ist zugleich seine Sprache: keine Modernismen, nirgends. Auch im Deutschen findet man sie nicht. Das schönste Kompliment, das man der Übersetzerin entgegen der alten Gleichung machen kann, ist darum, dass sie das Original eben nicht verraten hat.“