Seminare

In den 10 Seminaren des Anthropocene Campus: The Technosphere Issue wurde ein breites Spektrum an Themen und Methoden behandelt und angewandt. Gemeinsam war und ist den Seminar-Entwicklern die Überzeugung, dass das die Herausforderungen des Anthropozän nicht nur nach einer Wissensvermehrung, sondern vielmehr nach einer Neukonfiguration der Produktion und Vermittlung von Wissen verlangt. Experimentell und sondierend waren daher nicht nur die Fragestellungen der einzelnen Seminare, sondern auch die Wege und Strategien, auf und mit denen Antworten erarbeitet wurden. Eine ausführliche Dokumentation der einzelnen Seminare findet sich auf der Anthropocene Curriculum Website.

Axiomatic Earth

Ein Seminar von Susana Caló, Adrian Lahoud und Godofredo Pereira
mit Matteo Pasquinelli und Susan Schuppli

„Axiomatic Earth“ beschreibt einen Zustand, in dem Vermessung zum Gegenstand politischer Kämpfe wird. Die verschiedenen Technologien der Vermessung gehen einher mit verschiedenen Möglichkeiten des Sehens. Diese Technologien verhelfen daher nicht lediglich zu einer schärferen Sicht auf die Welt, vielmehr liefern sie eine Vielzahl von Sichtweisen und ermöglichen daher auch die Formulierung einer Vielzahl von Fragestellungen. In diesem Seminar wurde die Frage diskutiert, inwieweit die Technosphäre politisiert ist oder politisiert werden kann und inwiefern Techniken der Vermessung eine Reformulierung der zentralen politischen Fragestellungen im Anthropozän ermöglichen.

Governing the Technosphere

Ein Seminar von Beate Geissler, Brian Holmes und Oliver Sann
mit Karin Knorr Cetina, Ryan Griffis und Claire Pentecost

Wie wird die Technosphäre regiert? Und wie könnte man es anders machen? Typisch für unsere Gegenwart ist ein Exzess der Selbstreferenz. Archetypisch für die Entwicklung globaler Governance steht das extreme und autopoietische Wachstum der Finanzwirtschaft, mit verheerenden Folgen für Natur, Kultur, Industrie und Menschen. Unter Zuhilfenahme von philosophischen Konzepten, Literatur, Fotografie und Sozialtheorie wurde in diesem Seminar versucht, den weltweiten Exzess der Selbstreferenz auch in lokalen Räumen sichtbar zu machen.

Sensing the Insensible - Aesthetics in/and/through the Anthropocene

Ein Seminar von Jeremy Bolen, Emily Eliza Scott und Andrew Yang
mit Heather Davis

Unsere Vorstellung vom Anthropozän wurde durch ein technosphärisches Netz aus Satelliten, Kameras und Detektoren geformt. Die weitreichenden Veränderungen von Klima, Landschaft und Artenvielfalt in den letzten 400 Jahren stellen sich daher in erster Linie als Datensätze dar. Doch was liegt jenseits des GIS-Bildes? In diesem Seminar wurde untersucht, was Ästhetik im Anthropozän bedeuten kann. Ziel war es, überkommene Formen der Wahrnehmung zu verändern und neue Formen der Teilnahme zu entwickeln – jenseits von bloßer Beobachtung und kognitivem Verständnis.

Knowing (in) the Anthropocene

Ein Seminar von Sasha Engelmann, Zoe Lucia Lüthi, Melanie Sehgal, Janot Mendler de Suarez und Bronislaw Szerszynski
mit Mark Lawrence, Franz Mauelshagen, Tomás Saraceno und Falk Schmidt

Ist eine andere Technosphäre denkbar? Welche Wissensformen könnte eine andere Technosphäre verlangen und ermöglichen? Als Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Fragen hat sich das Seminar mit dem Aerozän beschäftigt, eine im Entstehen begriffene, kollaborative und spekulative Vision der Zukunft, die der Künstler Tomás Saraceno ins Spiel gebracht hat. Dabei ging es weniger darum, technologische oder wissenschaftliche „Lösungen“ zu finden und damit eine bestimmte Vision von der Zukunft festzuschreiben, als darum, jenseits der disziplinären Grenzen über denkbare und wünschenswerte Zukünfte zu spekulieren.

Techno-Metabolism

Ein Seminar von Paul N. Edwards, Gabrielle Hecht und Jonas Loh

In der Technosphäre werden nukleare und fossile, sowie – mit Hilfe von Wind-, Wasserkraft und Photosynthese – auch solare Energien verstoffwechselt. Aber auch die Verarbeitung von Information lässt sich zu den Stoffwechselprozessen der Technosphäre hinzuzählen. Bestimmte Formen von Daten werden aufgenommen und andere Formen wieder ausgeschieden, häufig im Rahmen komplexer Rückkopplungsschaltungen. In diesem Seminar wurden kreative Verfahren entwickelt und ausprobiert, um dieses Zusammenspiel aus Energie, Materie und Information als Stoffwechselprozess zu verstehen und zu visualisieren.

Co-Evolutionary Perspectives on the Technosphere

Ein Seminar von Manfred Laubichler, Daniel Niles, Jürgen Renn und Masahiro Terada
mit Joyeeta Gupta und Sander van der Leeuw

Diesesr Seminar ist weit zurück in der Zeit weit zurückgegangen, um die evolutionären Wurzeln der Technosphäre zu untersuchen und somit unsere Gegenwart und Zukunft besser zu verstehen. Aus einer ko-evolutionären Perspektive betrachtet, verschwinden die trennscharfen Linien zwischen Menschen, Kultur, Natur und Technologie. Um die interaktiven Prozesse zu verstehen, durch welche die Umwelt beständig verändert wird, wurde in diesem Seminar das Zusammenspiel von Menschen, Pflanzen, Tieren und Orten untersucht, das über lange Zeiträume grundlegend für den Fortbestand der Menschheit war und das heute noch gegenwärtig ist.

Algorithmic Intermediation and Smartness

Ein Seminar von Bernard Geoghegan, Stéphane Grumbach, Orit Halpern, Olivier Hamant und Robert Mitchell
mit Mark Hansen und Erich Hörl

Algorithmen sind Vermittler insofern sie „entscheiden“, was für Menschen von Relevanz ist. Damit befriedigen sie ein Verbraucherbedürfnis und optimieren gleichzeitig andere Parameter, etwa das Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Zur Zeit ist es der allgegenwärtige Begriff „Smartness“, der eine Vielzahl von algorithmischen Vermittlungen zwischen Menschen, Technologie und Natur mit einer positiven Konnotation versieht. In diesem Seminar wurden der vermehrte Einsatz von Rechenoperationen im sozialen Leben sowie der diesen Einsatz begleitende und legitimierende „Smartness“-Diskurs kritisch untersucht.

Feral Technologies - Making and Unmaking Multispecies Dumps

Ein Seminar von Elaine Gan, Bettina Stoetzer und Anna Tsing
mit Soyoung Yoon

Wer bewohnt und wer regiert die Technosphäre? Das Anthropozän-Konzept ist nicht Schlüssel zu einer klar strukturierten, menschengemachten geologischen Epoche, sondern vielmehr ein Gefüge aus Komplexitäten und Brüchen. In diesem Seminar wurde die Technosphäre verstanden als ein unvorhergesehenes Geflecht aus Verknüpfungen, das aus verseuchten Landschaften und Müllhalden entsteht. In diesem Sinn umschließt der Begriff Technologie auch Lebensformen, die zunächst Teil einer von Menschen geformten Technologie sind, dann aber verwildern.

Romancing the Anthropocene - Urban Diffractions of the Technosphere

Ein Seminar von Elena Bougleux, Herbert Lohner, Myriel Milicevic und Alexandra Toland

Auf die Wichtigkeit, Narrative für eine anthropozäne Welt zu finden, wird immer wieder hingewiesen. Doch es wird selten auf die Rolle eingegangen, die erzählende Literatur spielen kann, um die verschiedenen Disziplinen und Methoden bei der Erforschung von Anthropozän und Technosphäre zu verbinden. Ausgang dieses Seminars war eine Lektüre der Erzählung „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ des Naturforschers und Dichters Adalbert von Chamisso aus dem Jahr 1813. Ausgehend von und mit Hilfe dieser Erzählung wurde im Seminar nicht nur über die verknüpfende Kraft von Literatur diskutiert, sondern auch das alte Industriegebiet um Berlin-Westhafen auf anthropozäne Spuren und Schatten hin untersucht.

Whose? Reading the Anthropocene and the Technosphere from Africa

Ein Seminar von Clapperton Chakanetsa Mavhunga
mit Shadreck Chirikure, Gabrielle Hecht, D. A. Masolo und Chaz Maviyane-Davies

Was sehen wir, wenn wir Konzepte wie das Anthropozän und die Technosphäre aus einer postkolonialen Perspektive betrachten? Lässt der universalistische Anspruch, der diesen Konzepten inhärent ist, imperialistische Mechanismen der Repräsentation tatsächlich hinter sich, oder hilft er vielmehr dabei, eurozentristische Tendenzen zu verstärken? Um es pointiert zu formulieren: Wie weiß ist das Anthropozän? Dieses Seminar hat renommierte Wissenschaftler*innen aus afrikanischen Ländern zusammengebracht, um das Anthropozän-Konzept zu verunsichern und zu vervielfältigen.