Tafeln A bis C: Einführung in den Bilderatlas

Ein Rundgang in vereinfachter Sprache

Die Tafeln A, B und C führen in die Bilder und Themen des gesamten Bilderatlas ein. Hier werden Figuren, Orte und Formen vorgestellt, denen Sie in den nächsten Kapiteln immer wieder begegnen. Und schon auf diesen ersten Tafeln stellt Aby Warburg Bilder zusammen, die aus verschiedenen Zeiten stammen, die zu verschiedenen Zwecken angefertigt und von ganz unterschiedlichen Auftraggebern bezahlt wurden. Dennoch fallen sofort Ähnlichkeiten zwischen ihnen ins Auge.

Es gibt Bilder vom Himmel, von Tieren und Planeten, außerdem Zeichnungen von Karten, Körpern und Kreisen. Wie hängen diese unterschiedlichen Bilder miteinander zusammen?

Tafel A, Foto: Wootton / fluid; Courtesy Warburg Institute

Auf Tafel A zeigt das unterste Bild den Stammbaum von reichen italienischen Familien zur Zeit der „Renaissance“, die etwa von 1400 bis 1600 dauerte. Damals kamen Bildmotive aus dem alten Griechenland und Rom erneut in Mode. Diese Familien waren in der Renaissance wichtige Auftraggeber für diejenigen Künstler, über die Aby Warburg geforscht hat.

Über diesem Stammbaum ist eine Landkarte zu sehen. Sie zeigt Gegenden rund um das Mittelmeer, beispielsweise Italien und Griechenland, aber auch Orte außerhalb von Europa, die bedeutend waren für den Austausch zwischen Kulturen und ihren Bildern. Für den Austausch also, den Aby Warburg in seinem Bilderatlas nachzeichnen wollte (auf Seite 14 wird darauf genauer eingegangen werden).

Das oberste Bild ist eine Sternenkarte voller Tiere und Götter. Sternenkarten benutzten die Menschen vermutlich bereits vor der Antike, um Fixsterne und Planeten zu ordnen. Eine solche Ordnung am Himmel half auch, sich im Leben auf der Erde zu orientieren: Die Menschen benutzten Sternbilder in der Seefahrt, im Kalender, in der Medizin und im Glauben.

Dabei ist es nicht wirklich möglich, oder sinnvoll, eine Rangfolge zwischen Sternbildern oder einzelnen Sternen zu bilden. Vielleicht fand Warburg es deshalb naheliegend, die Bilder für seinen Atlas auf eine ähnliche Art zu gruppieren, als Konstellationen. Er löste damit die Unterscheidung auf zwischen mehr oder weniger wertvollen Bildern, die in seiner Zeit noch sehr stark vorherrschte. Und er brachte von Anfang an Bilder zusammen, die in unterschiedlichen Ländern und Jahrtausenden entstanden sind.

Tafel B, Anonym / Byzantinisch Figur mit den Körperteilen, die den verschiedenen Tierkreiszeichen zugewiesen sind. ca. 1450, Fotos: Wootton / fluid; Courtesy Warburg Institute

Auf Tafel B sind auf den meisten Bildern Kreise zu sehen. In der Mitte dieser Kreise stehen Menschen, umgeben von Tiersymbolen – das sind die zwölf Sternzeichen. Diese Bilder erklären eine Vorstellung aus dem Mittelalter, also dem Zeitabschnitt von etwa 500 bis 1400 nach Christus. Man ging damals davon aus, dass der Mensch von den Sternen abhängig ist und sie sein Schicksal entscheiden.

Tafel B, Leonardo da Vinci Vitruvianischer Mensch ca. 1490, Fotos: Wootton / fluid; Courtesy Warburg Institute

Der Mann auf der Zeichnung ganz in der Mitte der Tafel sieht anders aus als die anderen Figuren. Er steht nackt da, mit ausgestreckten Armen, und sieht uns selbstbewusst an. Er ist umgeben von den mathematischen Formen Kreis und Quadrat, die Sternzeichen fehlen. Dieses Bild kommt schon aus einer späteren Zeit, der Renaissance. In dieser Zeit wird der der (männliche) Mensch selbst zum Maßstab des Universums. Er ist es, der die Welt gestaltet. Wissenschaftliches Denken löste nach und nach die Sterndeutung und den Aberglauben ab.

Tafel C, Anonym / Deutsch, Sonnensystem, 1895, Fotos: Wootton / fluid; Courtesy Warburg Institute

Auf der vorherigen Tafel sahen wir Darstellungen von kreisrunden Sternenbahnen. Auf Tafel C zeigen Zeichnungen eine Form namens Ellipse. Sie sieht aus wie ein zusammengedrückter Kreis und ist die Form, in der sich die Planeten bewegen. Zu dieser wissenschaftlichen Erkenntnis über die tatsächlichen Verläufe von Sternenbahnen kam man erst im frühen 17. Jahrhundert nach Christus. Die Ellipse wurde damit für Aby Warburg zum Symbol für ein neues Zeitalter. Auf den Zeitungsfotos von 1929 in der unteren Bildreihe sehen wir ein Luftschiff. Es hat ebenfalls die Form einer Ellipse. Als modernste technische Erfindung zu Warburgs Zeit bewegte sich das Luftschiff ganz unabhängig von den Sternen als Orientierungspunkten durch die Lüfte. Der Mensch hatte nun auch den Himmel erobert.

Tafel C, Der „Graf Zeppelin“ über der japanischen Küste begegnet einem Flugzeug des Küstenwachdienstes, 1929, Fotos: Wootton / fluid; Courtesy Warburg Institute

Die Form der Ellipse wurde auch in der Ausstellung im HKW aufgegriffen, um die Bilder anzuordnen. Ebenso waren im Lesesaal von Aby Warburgs Bibliothek die Bücherregale in Form einer Ellipse aufgebaut.