Präsentationen, Diskussion

Konferenz: The White West IV: Whose Universal?

Mit Norman Ajari, A. Dirk Moses, Nikhil Pal Singh, Françoise Vergès

Sa 10.7.2021
Dachterrasse und Livestream
17–22h
Eintritt frei, mit Einlasstickets
Auf Englisch
Rajkamal Kahlon, Detail aus “Die Völker der Erde/People of the Earth”, 2017-2021

Das Vermächtnis des Kolonialismus zeigt sich in einer Sprache, die auch für zeitgenössische Ohren vertraut und überzeugend klingt, und deshalb selten hinterfragt wird. Prinzipien wie Offenheit, Universalismus, Humanismus, Freiheit und Individualismus sind kolonial geprägt und funktionieren im Rhythmus einer globalen Wirtschaft, die auf der Hegemonie des Westens gründet. Die rassistischen Grundlagen der westlichen Epistemologien müssen konsequent infrage gestellt werden, denn ihre strukturellen Ungereimtheiten lassen nur bedingt Kritik an einem rassistischen Kapitalismus zu. Andernfalls werden Appelle an universelle Werte oder Prinzipien auch künftig einen Raum der Ambivalenz öffnen, in dem eine Vielzahl quasi-politischer Positionen in Richtung Faschismus gebeugt werden können.

The White West: Whose Universal? beleuchtet die Schnittmenge von metaphysischen Prädikaten und kolonialem Vermächtnis und die unzureichend thematisierten Kontinuitäten von Faschismus und Siedlerkolonialismus. Im ersten Teil der Konferenz diskutieren Norman Ajari, A. Dirk Moses, Nikhil Pal Singh und Françoise Vergès Politiken des Erinnerns und Vergessens, aktuelle Versuche, weiße Zukunftsentwürfe zu Dezentrieren und zu Rezentrieren und die Frage: Wie hat die Entkopplung von Faschismus und Imperialismus während Nachkriegszeit eine dekoloniale Kritik an der weißen Vorherrschaft verhindert?

Organisiert von Ana Teixeira Pinto, Kader Attia und Anselm Franke

17h
Begrüßung
Ana Teixeira Pinto, Kader Attia, Anselm Franke

17.30h
Decolonial Iconoclasm
Norman Ajari
Vortrag
Die globale Protestbewegung nach dem Mord an George Floyd wurde von einer Reihe von Angriffen auf Denkmäler begleitet, die die koloniale Vergangenheit Europas und Amerikas glorifizieren. Norman Ajari bezeichnet dies als dekolonialen Bildersturm, eine kollektive Praxis, die sich radikal gegen white supremacy und anti-Blackness stellt. Dieser Ansatz unterscheidet sich fundamental von den liberalen und auf Integration abzielenden Aufrufen zu mehr Inklusion, beispielsweise bei Ortsnamen. In seinem Vortrag erörtert Ajari: Das Problem öffentlicher Denkmäler geht weit über gängige Debatten zu Repräsentation und Inklusivität hinaus, denn der Staat formt kollektives Begehren und hegemoniale Ästhetiken. Im Gegensatz dazu ist der dekoloniale Bildersturm eine kollektive Praxis, die darauf zielt, Intellekt und Begehren vom westlichen Staat abzulösen und damit den Weg zu einem Schwarzen Internationalismus frei macht.

The Afterlife of Fascism after Trump
Nikhil Pal Singh
Vortrag

Übertreibungen und ahistorische Aussagen kennzeichnen die aktuelle Diskussion über Faschismus. Seriöse Historiker*innen sehen das kritisch. Sie argumentieren, dass heute für einen faschistischen Aufstieg wichtige historische Bedingungen wie Massenmobilisierung, militärischer Expansionismus und utopische Zukunftsvisionen fehlen. Nichtsdestoweniger ist der Faschismus seit der Wahl Donald Trumps 2016 als reale politische Möglichkeit in den USA in den öffentlichen Diskurs gerückt. In einem aktuellen Essay betont Richard Seymour, dass Trump durchaus ein Indikator für einen aufkeimenden oder latenten Faschismus ist, Teil eines Mainstreaming der extremen Rechten, den Seymour als „Faschisierung“ bezeichnet. In seinem Vortrag spricht Nikhil Singh über das „Nachleben des Faschismus“ und versucht eine Bestandsaufnahme der Perspektiven des Faschismus in den Vereinigten Staaten nach Trump.

A Leap of Imagination
Françoise Vergès
Vortrag

In den Schlussworten der Verdammten dieser Erde warnt Frantz Fanon die Bewohner*innen des globalen Südens davor, Europa zu „imitieren“: „Hören wir auf, es [Europa] anzuklagen, aber sagen wir ihm ins Gesicht, dass es nicht mehr so viel Wind machen soll. Wir haben es nicht mehr zu fürchten, hören wir also auf, es zu beneiden.“ Den Weißen Westen hinter sich lassen, an den Gefühlen des Neids, Narzissmus, an der Angst und dem Wunsch nach Nachahmung zu arbeiten ist nötig. Nur so lässt sich die Intensität, die psychische Macht und Fähigkeit erkennen, das Denken der Menschen zu kolonialisieren und ihre Fantasie zu hindern. Wie ist die Befreiung möglich von den Geistern, von den Phantomen des Weißen Westens, von den lebenden Toten, die an uns nagen, unser Denken beschränken? Françoise Vergès erkundet Antworten auf Fragen, die die Befreiungsbewegungen lange beschäftigten.

Human Progress and the Conceit of “Western Civilization”
A. Dirk Moses
Vortrag

Viele Deutsche können Postcolonial Studies nicht einordnen, hinterfragen diese doch die weltgeschichtliche Rolle der Instanz, die sie, so glauben sie, vor der Herrschaft der Nazis rettete: Gemeint ist „der Westen“ als geopolitische Einheit und sein kulturelles Äquivalent, die „westliche Zivilisation“. In der BRD hieß die Überwindung der NS-Vergangenheit, „im Westen ankommen“, um auf den Titel von Axel Schildts Buch Ankunft im Westen: Ein Essay zur Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik von 1999 zu rekurrieren. In seinem Vortrag erkundet Dirk Moses das Engagement der BRD für die Gleichsetzung von „Zivilisation“ und „Westen“ in der Nachkriegszeit und das rosarote Verständnis von Aufklärung und Kolonialismus als Vehikel des „menschlichen Fortschritts“. Dieses Verständnis ist es gerade, was die Postcolonial Studies in Frage stellen.

20.30h Pause

21h
Diskussion mit allen Beitragenden