Kaum ein Thema hat in den letzten Jahren den Fußballkosmos derart geprägt wie der Kniefall vor Fußballspielen als Symbol des Protests gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Bei zahlreichen europäischen Fußballwettbewerben der Männer wie der Champions League und der Europa League gingen Spieler immer wieder auf die Knie (englisch: „to take the knee“). Die Popularität und die Bedeutung der Geste gehen zurück auf den American-Football-Spieler Colin Kaepernick, der sich im August 2016 aus Protest gegen die Ermordung Schwarzer Menschen durch die Polizei erstmals während des Abspielens der US-amerikanischen Hymne hinkniete. Das Knien als Solidaritätsbekundung mit der Black-Lives-Matter-Bewegung und als Zeichen des Protests gegen Rassismus und Polizeigewalt wurde daraufhin in weiten Teilen der USA, in Europa und auch in Deutschland zur politischen Praxis. 

Bei der Fußball-Europameisterschaft der Männer im Jahr 2021 praktizierte das englische Team die Kniefall-Geste vor jedem Spiel, andere Teams – wie zum Beispiel das deutsche – nur bei ausgewählten Partien. Der sonst bei politischen Aktionen in den Stadien sehr strenge europäische Fußballverband (UEFA) verzichtete auf Sanktionen und erklärte: „Jeder Spieler, der eine Gleichstellung von Menschen fordert, indem er sich niederkniet, hat die Erlaubnis dazu.“ Diese Aktionen in den Stadien haben immerhin eine gewisse Sensibilität für das Thema Rassismus im Fußball und in der Gesellschaft erzeugt und eine öffentliche Debatte angestoßen. Diskriminierende Vorfälle während Fußballspielen in europäischen Stadien, auf dem Platz zwischen Spielern (eher als Spielerinnen) genauso wie auf den Rängen durch Fans, gibt es seit Jahren. Rassistische, antisemitische, sexistische Beleidigungen, Gesänge und Plakate oder Banner werden regelmäßig durch zahlreiche Organisationen und Projekte überall in Europa dokumentiert. Homophobe Beleidigungen und Gesänge während Fußballspielen sind keine Seltenheit. Für viele queere und non-binäre Spieler*innen oder Fans sind Fußballstadien und -plätze feindselige beziehungsweise unsichere Orte. In den Fußballvereinen wird solches Verhalten jedoch oft reflexartig nur einzelnen Fans oder bestimmten Fanszenen zugeordnet.

In vielen europäischen Stadien lässt sich folgendes Bild beobachten: Auf dem Platz stehen sich zwei Teams mit Fußballer*innen verschiedenster Herkunft gegenüber, während auf der Bank meistens ausschließlich ‚weiße‘ Trainer Platz finden. Diese Konstellation weist auf eine offensichtliche strukturelle Diskriminierung gegenüber BIPoC (Black, Indigenous, People of Colour) innerhalb der Vereine und Verbände hin. Mit Ungleichbehandlung sehen sich auch Frauen im Fußball konfrontiert. Im Vergleich zum Männerfußball erhält der Frauenfußball zudem eklatant weniger finanzielle Ressourcen, Medienpräsenz und Aufmerksamkeit, um nur wenige Aspekte zu nennen.  

Umso wichtiger ist die Rolle des Fußballs für diverse Communitys auf der lokalen Ebene. Als die populärste Sportart in vielen Ländern trägt Fußball eine besondere Verantwortung für die Verwirklichung einer diversen und inklusiven Gesellschaft. Professionelle Vereine und Amateurclubs haben gleichermaßen große Bedeutung für migrantische Communitys, vor allem Kinder und Jugendliche, sowie für Menschen mit Beeinträchtigungen. Niedrigschwellige Zugänge und unkomplizierte Einstiegschancen beziehungsweise Mitgliedschaften bei lokalen Fußballvereinen und Schulteams schaffen starke Identifikationsmöglichkeiten und stärken Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Anerkennung im sozialen Umfeld. Der 1978 in Berlin-Kreuzberg gegründete und heute in der Oberliga Nordost spielende Türkiyemspor gilt als der größte von Migrant*innen ins Leben gerufene Sportverein in Europa. Spieler*innen, die ihre Karriere bei Türkiyemspor begannen, schafften es bis in die Nationalmannschaften der Türkei, Ägyptens, Palästinas, Aserbaidschans, Tunesiens und Nigerias. Weitere Vereine der Berlin-Liga wie Berlin Türkspor 1965, Berlin Hilalspor und SD Croatia Berlin wurden von Migrant*innen gegründet und verstehen laut ihren Selbstdarstellungen Jugendarbeit als treibende Kraft für die Gründung der Vereine. Unabhängig davon, ob ihre Spieler*innen den ‚nächsten Schritt‘ zu einem größeren Club oder in die Professionalisierung schaffen (oder überhaupt schaffen möchten): Der Platz, den diese Vereine im Leben einzelner Menschen einnimmt, verdient mehr Aufmerksamkeit, gesellschaftliche Anerkennung und letztendlich politische und finanzielle Unterstützung.

Im Rahmen von Ballett der Massen verwandelt sich die Paulette Nardal Terrasse des HKW an vier Sommerabenden im Juni in ein Freiluftkino. Das vierteilige Filmprogramm Take the Knee, konzipiert in Zusammenarbeit mit Enoka Ayemba, präsentiert Filme, die Akteur*innen ins Zentrum des Spielfelds holen, die sowohl im globalen wie lokalen Universum des Fußballs wenig beachtet, oft übersehen oder absichtlich ignoriert werden. Auf die Filme folgen jeweils Gesprächen mit Gäst*innen, die einen Diskursraum über Fußball und seine historische, kulturelle und gesellschaftspolitische Bedeutung eröffnen.


Konzipiert in Zusammenarbeit mit Enoka Ayemba