Bei der Deberlinisierungskonferenz finden Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen, Künstler*innen und Kulturschaffende, Aktivist*innen und politischen Denker*innen zusammen, um über das Konzept und die Praxis der Deberlinisierung zu diskutieren und ihre kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen zu untersuchen.

Die Deberlinisierung ist ein philosophisches und künstlerisches Langzeitprojekt, das der Künstler Mansour Ciss Kanakassy im Jahr 2001 initiierte. Es dient als Ausgangspunkt und zentrale Referenz für die Deberlinisierungskonferenz, die von Ibou Coulibaly Diop und Franck Hermann Ekra kuratiert wird und im Rahmen von heimaten im Haus der Kulturen der Welt (HKW) stattfindet. Im Anschluss an die Konferenz wird eine Festschrift veröffentlicht, die von den Ko-Kuratoren gemeinsam mit dem HKW herausgegeben wird.

Es wäre keineswegs übertrieben, zu behaupten, dass die Frage nach einer einheitlichen afrikanischen Währung, die sich über die 1884–1885 auf der sogenannten Berliner Konferenz gezogenen Grenzen hinwegsetzte und die ‚Balkanisierung‘ Afrikas in ‚anglophone‘, ‚frankophone‘, ‚germanophone‘, ‚hispanophone‘ oder ‚lusophone‘ Zonen ignorierte, das entscheidendste politische und wirtschaftliche Projekt für eine panafrikanische Emanzipation darstellt. Eine vereinheitlichte afrikanische Währung ist keineswegs ein neues Thema. Schon vor einigen Jahrzehnten wurde ihre Einführung beschworen, und vielleicht verkörpert niemand dieses Anliegen vollkommener als der große Kwame Nkrumah, der in seiner Rede vom 24. Mai 1963 vor der Konferenz der afrikanischen Staats- und Regierungsoberhäupter sagte:

Kein unabhängiger afrikanischer Staat hat heute eine Chance, für sich alleine den Weg einer unabhängigen wirtschaftlichen Entwicklung einzuschlagen, und viele von uns, die das versucht haben, wurden dabei beinahe in den Ruin getrieben oder mussten sich zurück in den Schoß der ehemaligen kolonialen Herrscher begeben. Daran wird sich nichts ändern, solange wir keine gemeinsame und einheitliche Politik auf kontinentaler Ebene verfolgen. Der erste Schritt, um unsere Wirtschaften zusammenzuführen, wäre ein einheitlicher Währungsraum, mit einem anfangs festgelegten allgemeinen Wechselkurs unserer Währungen […] Wenn sich dann herausstellt, dass die Verabredung eines fixen gemeinsamen Wechselkurses erfolgreich ist, spräche nichts mehr dagegen, eine gemeinsame Währung und eine einzige Zentralbank einzuführen.[1]

Dieser scheinbar selbstverständliche Ruf nach einer wahrhaft unabhängigen Gesellschaft erwies sich im 20. und 21. Jahrhundert als umstritten, weil eine gemeinsame afrikanische Währung eine Reihe von Folgen mit sich brächte: einen gemeinsamen und gestärkten afrikanischen Markt, eine konsolidierte Kontrolle über die Vielzahl an Ressourcen, über die der afrikanische Kontinent verfügt, sozioökonomische und politische Kooperation zwischen den Ländern Afrikas, Kontrolle über Banken, Kredite und die Bedingungen ihrer Vergabe, Kontrolle über die in den afrikanischen Gesellschaften zirkulierende Geldmenge, ein Mitspracherecht bei den Konsequenzen von Inflation wie auch, neben anderen Waren, beim Preis von Kakao, Kaffee, Gold, Öl und Diamanten. Dies würde ein Ende der anhaltenden neokolonialen Ausbeutung implizieren, die bis heute in Afrika propagiert wird und die ermöglicht und befördert wird durch westliche Regierungen unterschiedlicher Couleur, durch regionale bewaffnete Konflikte, die von externen politischen Akteuren angefacht werden, durch multinationale Industrieunternehmen mit je eigener Agenda, und durch korrupte afrikanische Politiker*innen, die sich als Handlanger*innen ihrer „ehemaligen“ Kolonialmächte verdingen, anstatt ihrem eigenen Volk zu dienen. Zwei Figuren, die versucht haben, die Einführung einer einheitlichen afrikanischen Währung anstelle kolonialer Währungen wie etwa dem CFA-Franc[2] voranzutreiben, sind der Präsident von Togo, Sylvanus Olympio, 1963 und der Präsident von Burkina Faso, Thomas Sankara, 1987; beide bezahlten dafür mit ihrem Leben. Es gibt auch das Gerücht, dass der Sturz Muammar al-Gaddafis in Libyen 2011 zumindest teilweise auf sein Eintreten für eine gemeinsame afrikanische Währung zurückzuführen ist. 

Oft wird behauptet, dass Künstler*innen die Fähigkeit besitzen – durch etwas, das man Vorahnung nennen könnte und das in Pidgin als sentement bezeichnet wird –, sich die Entwicklung der Gesellschaft vorzustellen, lange bevor Akademiker*innen und Politiker*innen dies tun. Dementsprechend feiert – obwohl es immer noch keine gemeinsame Währung auf dem afrikanischen Kontinent gibt – Mansour Ciss Kanakassys Vision einer solchen Währung mit dem sprechenden Namen Afro im Jahr 2024 bereits ihr 23-jähriges Bestehen.

Der Afro ist nur eines von vielen ‚Produkten‘ von Mansour Ciss Kanakassys 2001 gestarteter wegweisender Initiative und Handlungsaufforderung mit dem emblematischen Titel Le Laboratoire de Déberlinisation (Das Deberlinisierungslabor). Mansour Ciss Kanakassys Werk ist ein gesellschaftspolitisches, sozioökonomisches und künstlerisches Projekt, das auf ein neues Verständnis und eine Rekalibrierung des Umgangs mit Geschichte abzielt. Es ist zugleich in mehrfacher Hinsicht – disziplinär wie geografisch – ein Projekt der politischen Bildung, das eine Aufklärung und Stärkung der Zivilgesellschaft anstrebt. Wie der Name andeutet, konstituiert das Projekt einen Raum, in dem Praktiken erprobt, geprüft und analysiert werden, bevor sie zum praktischen Einsatz kommen. Die Währung Afro war deshalb einer der ersten Versuche, die im Rahmen von Le Laboratoire de Déberlinisation durchgeführt wurden, mit einem ausgefeilten Versuchsdesign und Methoden, zu denen das Experimentieren mit Materialien und Konterfeis großer panafrikanischer Denker*innen und Kämpfer*innen wie Nelson Mandela und Thomas Sankara gehörte. Auf diese Weise wurden Überlegungen angestellt, welche Ressourcen zur Deckung einer Währung beitragen – Afrika hat einen Überfluss an Gold, Diamanten, Silber und weiteren Rohstoffen, dennoch sind paradoxerweise diejenigen Länder und Kontinente erheblich wohlhabender, die nicht über solche Ressourcen verfügen. Damit wurden unter anderem die vorherrschenden Prozeduren zur Festlegung von Wechselkursen infrage gestellt. 

Le Laboratoire de Déberlinisation ist ein zutiefst philosophisches Projekt im Hinblick auf die Konzeption von Geschichte. Mansour Ciss Kanakassys Kernargument lautet, dass es nicht so sehr einer Dekolonisierung des Diskurses bedarf, die inzwischen alles und nichts bedeutet, sondern vielmehr präziser und rigoroser Argumente und Praktiken. Aufgrund der in Berlin 1884–1885 ins Werk gesetzten ‚Balkanisierung‘ Afrikas ist dieses Projekt eng an Berlin und Deutschland angebunden. Die Auswirkungen dieser aus der Ferne vollzogenen extrem gewaltsamen Zerteilung des afrikanischen Kontinents – ohne jede Rücksicht auf kulturelle, sprachliche, historische und geografische Bedingungen –, sowie die Folgen seiner Kolonisierung und der bis heute andauernden Extraktionsvorhaben sind in den afrikanischen Gesellschaften der Gegenwart überdeutlich zu spüren. Anstatt über Dekolonisierung im Allgemeinen nachzudenken, schlägt Mansour Ciss Kanakassy vor, dass wir uns konkret mit der spezifischen Frage einer Deberlinisierung auseinandersetzen.

Das tun Expert*innen unterschiedlicher Disziplinen im Rahmen der Deberlinisierungskonferenz im HKW. Sie sind dazu eingeladen, sich mit Mansour Ciss Kanakassys Konzept auseinanderzusetzen, über dessen Theorie und Praxis zu reflektieren, sich seine zukünftigen Auswirkungen vorzustellen und bereits jetzt das Potenzial dieser Idee für eine neue Erzählung der Welt zu realisieren.

Prof. Dr. Bonaventure Soh Bejeng Ndikung

 

[1] Kwame Nkrumah, „Address to the Conference of African Heads of State and Government, 24th May 1963“, Revolutionary Path, 2. Aufl., London: Panaf Books, 2001, S. 63.

[2] Zur Geschichte des CFA-Franc als Instrument des Neokolonialismus siehe Fanny Pigeaud und Ndongo Samba Sylla, L’arme invisible de la Françafrique. Une histoire du franc CFA, Paris: La Decouverte, 2018.