Komplizierte Solidarität: Klänge, Bilder, Spuren

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Antiimperialismus und Internationalismus – veraltete Konzepte in heutiger Zeit, so scheint es, oder bestenfalls Ideale einer marginalisierten Linken. Dabei galten sie noch vor wenigen Jahrzehnten als vernünftig. Sie stellten die herrschende neoliberale Weltordnung radikal infrage und waren im sozialistischen Lager nicht nur Doktrin, sondern gelebte Realität. Die DDR leistete sich ein großes Solidaritätsprogramm zur Förderung von Befreiungsbewegungen und sozialistischen Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika. Ärzt*innen aus Ostdeutschland unterstützten die Frente da Libertação de Moçambique (FRELIMO) im Unabhängigkeitskampf in Mosambik, Revolutionär*innen aus Südafrika, Algerien, Nicaragua und anderen Nationen lernten und studierten an den Schulen und Universitäten der Deutschen Demokratischen Republik. Mit Bildungsangeboten, medizinischer Hilfe und Infrastruktur beteiligte sich die DDR am gesellschaftlichen Wiederaufbau in Vietnam, Angola, Mosambik und Kuba. Internationale Solidarität bedeutete auch Schutz und Unterkunft für politisch Verfolgte und ihre Familien aus Chile, dem Iran oder der Türkei.
Die ostdeutsche Solidaritätsbewegung war Teil der staatlichen Agenda und Manifestation des sozialen Ethos. Sie bildete sich entlang globaler Konflikte und wurde bis in die 1970er Jahre von der Bevölkerung unterstützt. In Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und Massenorganisationen mobilisierte das Solidaritätskomitee DDR-Bürger*innen in Fabriken, an Schulen und im Wohnumfeld. Sie verfassten Solidaritätserklärungen, bildeten internationale Brigaden, die beim Bau von Schulen und Krankenhäusern halfen, und schickten Materialspenden.
Doch auch im sozialistischen Lager gab es ein Machtgefälle, und die DDR wusste den eigenen Einfluss zu sichern. Mit der Unterstützung von Befreiungsbewegungen und alliierten Nationen verfolgte die Regierung nicht zuletzt eigene politische und ökonomische Interessen. Nach Verabschiedung der Hallstein-Doktrin, mit der die Bundesrepublik ab 1955 Staaten sanktionierte, die die DDR offiziell anerkannten, konzentrierte man sich in Ostberlin außenpolitisch vor allem auf den Aufbau diplomatischer Beziehungen zu den soeben unabhängig gewordenen früheren Kolonien. In einer geteilten Welt wollte man die eigene Position stärken.
Die antifaschistische Attitüde der DDR blieb ein Ideal, ohne dass sich der Staat tatsächlich mit dem eigenen kolonialen und nationalsozialistischen Vermächtnis auseinandergesetzt hätte. Alltäglicher und institutioneller Rassismus wurde relativiert oder tabuisiert, rassistische Verbrechen wurden nie aufgeklärt oder als rassistisch motiviert anerkannt. Das zeigen die Fälle Raúl García Paret und Delfin Guerra, ermordet am 12. August 1979 in Merseburg, Manuel Diogo, ermordet am 30. Juni 1986 in Coswig, Anhalt, oder Carlos Conceição, ermordet in der Nacht vom 19. auf den 20. September 1987 in Staßfurt. Während grenzüberschreitend internationale Solidarität geübt wurde, herrschte im Land selbst soziale Segregation. Dennoch entstanden Verbindungen zwischen Migrant*innen und DDR-Bürger*innen, es entwickelten sich Freundschaften, es gab Liebesbeziehungen, Familien wurden gegründet.
Dieser Themenblock rückt den Geist des Antiimperialismus, des Internationalismus und der Solidarität mit den ‚Bruderländern‘ und den Freiheitskämpfen der Welt in den Blick. Die Plakate, Songs und Zeitschriften in der Bibliothek vermitteln einen Eindruck davon, wie diese Solidarität vermittelt und gezeichnet wurde. Die Besucher*innen sind eingeladen, kritisch zu bewerten, was internationale Solidarität einst hieß, und zu überlegen, wie sie heute aussehen könnte. Die Kultur feierte ihren Internationalismus in den Befreiungskämpfen der Nationen, die sie als gemeinschaftliche Initiative lasen. Von Silvio Rodríguez’ Hommage an Vietnam bis zu Miriam Makebas scharfer Kritik am südafrikanischen Apartheidsregime: Ihre Lieder wurden zu Hymnen der Einheit und des Widerstands. Musiker wie Ahmed Wahby und Victor Jara nutzten ihre Kunst als mächtige Waffe im Kampf gegen Kolonialismus und Repression. Das Festival des Politischen Liedes der DDR war die symbolstarke Zusammenkunft, bei der Musiker*innen der Welt für die Freiheit, für Solidarität, für den Widerstand und gegen Unterdrückung sangen.
Als gedruckte Medien erfüllten Zeitschriften und Plakate ihre Rolle als Instrumente der transnationalen Kommunikation. Sie dienten der Information und der politischen Bildung, verbreiteten revolutionäre Botschaften und Bilder über die Grenzen hinaus. Das von der Solidaritätsorganisation für die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas OSPAAL herausgegebene Magazin TRIcontinental publizierte Propaganda und Solidaritätsaufrufe in mehreren Sprachen. In den Heften Für antiimperialistische Solidarität des Solidaritätskomitees der DDR informierten sich die Bürger*innen der DDR über globale Kämpfe. Gefördert wurden von 1967 bis 1990 auch der Druck und die Publikation der Zeitschrift Sechaba, die vom African National Congress im Exil herausgegeben wurde.
Solidaritätslieder, Journale und Plakate vermittelten jedoch nicht nur Information. Sie verbanden transkulturelle Identitäten in einem sozialen Geflecht mit revolutionärem Anspruch und förderten so eine spezifische politische Kultur. Doch es gilt, das Erbe des Internationalismus der DDR kritisch zu würdigen. Die Reflexion seiner Kontinuität – von Arbeits- und Bildungsaustauschprogrammen über materielle Hilfe bis hin zum Abbau von Ressourcen – hilft uns, die immanente Ambivalenz der internationalen Solidarität zu erfassen. Die hier präsentierten Quellen erzählen die kontroverse Geschichte der Solidarität im polarisierenden Klima des Kalten Krieges.