Abdullah Ibrahim erschafft auch im Alter von 90 einen Sound, in dem die Gegenwart eindrucksvoll nachklingt und sein musikalischer und politischer Einfluss deutlich wird. Seine Innovationen haben Generationen von Musiker*innen den Weg geebnet, seine kraftvolle politische Stimme hat wichtige Agenden vorangetrieben, Communitys zur Selbstermächtigung verholfen und Horizonte erweitert – Ibrahims Wirken hat bis heute grundlegende Bedeutung.

Geboren als Adolph Johannes Brand begann der Weg der südafrikanischen Legende in Kapstadt, wo seine Großmutter als Pianistin und seine Mutter als Leiterin des Chors der örtlichen African Methodist Episcopal Gemeinde seine ersten musikalischen Einflüsse waren. Weitere frühe musikalische Eindrücke umfassen Khoisan-Lieder, die Tanzmusik Marabi und US-amerikanischen Jazz auf Schellackplatten von Interpreten wie Louis Armstrong und Duke Ellington. Wegen seiner Begeisterung für diese importierten Platten bekam er den Spitznamen Dollar. Seine ersten Alben erschienen unter dem Pseudonym Dollar Brand, bis er Ende der 1960er zum Islam konvertierte und seinen Namen änderte. In diesem kulturellen Schmelztiegel aufgewachsen, wurde der junge Abdullah Ibrahim vor allem für seine bahnbrechende Verbindung von Bebop mit der eigentümlichen Atmosphäre von Kapstadt bekannt. 1958 gründete er das Dollar Brand Trio, 1959 veröffentlichte er mit Saxofonist Kippie Moeketsi, Trompeter Hugh Masekela, Posaunist Jonas Gwangwa, Bassist Johnny Gertze und Drummer Makaya Ntshoko als The Jazz Epistles deren einziges Album. Es war die erste LP einer Schwarzen südafrikanischen Band und wurde während des Kampfes gegen die Apartheid zu einem kulturellen Manifest.

Das Sharpeville-Massaker im März 1960 wurde zu einem Wendepunkt, an dem Jazz ein starkes Symbol des Widerstands darstellte. Als Antwort darauf ließ die Regierung Clubs schließen, nahm Musiker*innen ins Visier und schränkte so die Musikszene Südafrikas maßgeblich ein. Angesichts dieser Herausforderungen zog Ibrahim nach Zürich und 1965 nach New York. Während dieser Zeit lancierten Zeitgenoss*innen wie Hugh Masekela und Miriam Makeba ebenfalls erfolgreiche Karrieren in den USA. In den späten 1960ern kehrte Abdullah Ibrahim für zahlreiche Besuche nach Südafrika zurück. Bei diesen Aufenthalten produzierte er einige seiner bekanntesten Werke, unter anderem Mannenberg – Is Where It’s Happening im Jahr 1974. Der Titelsong „Mannenberg“ wurde zur inoffiziellen Hymne des African National Congress (ANC).

Nach dem Aufstand in Soweto 1976 erneut im Exil, veröffentlichte Ibrahim gefeierte Alben wie Africa – Tears and Laughter, African Dawn und Water from an Ancient Well. Nach Nelson Mandelas Freilassung 1990 kehrte Ibrahim nach Südafrika zurück, wo er weiterhin einflussreiche Musik schuf. Mittlerweile lebt er seit einigen Jahren im Süden Deutschlands. Im Rahmen einer Konzertreihe anlässlich seines 90. Geburtstags hat das Publikum des HKW die Gelegenheit, diese lebende Legende zu feiern. Bei seiner Performance wird er von Cleave Guyton am Saxofon und Noah Jackson an Bass und Cello begleitet und demonstriert seine anhaltende musikalische Brillanz.