Ahlam Shibli hat eine fotografische Methode entwickelt, durch die sie in einer komplexen dokumentarischen Ästhetik die widersprüchlichen Implikationen des Begriffs Heimat behandelt. Ihre Fotoserien zeichnen anhand der Erfahrung unterdrückter Communitys in verschiedenen Kontexten sowohl den Verlust als auch die Rückgewinnung einer Heimat nach. Im Widerstand gegen Objektifizierung verweigert sich Shiblis fotografisches Werk konsequent der Essenzialisierung ihrer Sujets als Opfer – und damit einer weiteren Unterdrückung. Vielmehr porträtiert sie sie in einem fortgesetzten Prozess der Subjektivierung in ihren eigenen Zusammenhängen, Beziehungen und in ihrer Handlungsmacht. Bei Forgive Us Our Trespasses / Vergib uns unsere Schuld präsentiert Shibli die Serie Staring (2016–2017), die nach der Evidenz von Heimat an zwei Orten sucht: al Khalil/Hebron und Kassel. In neun Episoden erzählt Staring vom Leben der Palästinenser*innen unter der Besatzung, vom Leben der (deutschstämmigen) ‚Heimatvertriebenen‘ aus Osteuropa und von ‚Gastarbeitern‘ aus den Mittelmeerländern, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Kassel kamen und eine Schlüsselrolle beim Wiederaufbau der kriegszerstörten Stadt spielten. Die Aufnahmen der Serie verbinden die beiden Orte und stellen sie auf faszinierende Weise einander gegenüber, beispielsweise in der Konfrontation eines 1974 von spanischen Arbeitsmigrant*innen in Kassel gegründeten Jugendclubs mit einem Taubenzüchter und Ziegenwirt in einem verlassenen Haus in al Khalil/Hebron. In Shiblis Werk erscheint das nicht länger als unwahrscheinlicher Kontrast, sondern als ein Dialog von Kontexten. 

Werk in der Ausstellung: Staring, Nine episodes from al-Khalil/Hebron (Palestine) and Kassel (Germany) (2016–2017), Serie von Fotografien, Projektion. Courtesy Ahlam Shibl