Im 18. Jahrhundert gerieten Flaggen, wie wir sie heute kennen, in den Strudel stärker werdender Nationalis-men und standen zunehmend für Zugehörigkeit und Ausgrenzung. Zwar ist nach wie vor nicht eindeutig geklärt, wie es zum Hissen von Flaggen an Masten kam, doch ist verbürgt, dass im Mittelalter chinesische Seide als Stoff bevorzugt wurde. Im 19. und insbesondere im 20. und 21. Jahrhundert erlangten Flaggen materiell und symbolisch immer größere Bedeutung. Die Entdeckung der Nähmaschine seines chinesischen Großvaters und dessen kommerzielles Engagement in der guatemaltekischen Textilindustrie ab den 1950er Jahren inspirierten Esvin AlarcónLam dazu, zur chinesischen Präsenz in der Region zu recherchieren und sich mit Stoffen als Modus und Material fürdie künstlerische Produktion auseinander-zusetzen. Dies fand, neben der Thematisierung queerer Perspektiven in transkultureller Geschichte, Eingang in Amarica, todas invertidas (2020): In dieser Serie erscheinen 35 Flaggen aus Mittelamerika wie durch einen neon-pinkfarbenen Filter betrachtet und markieren so die komplexe Intersektionalität von Staatlichkeit und queerer Identität. Neben der Zeichnung auf Papier Journey to the West (2024) zeigt Lam in Forgive Us Our TrespassesVergib uns unsere Schuld die Arbeit Overseas Peach, drei neue Flaggen, die an den Masten der Paulette Nardal Terrasse aufgezogen werden und unabhängig von den Öffnungszeiten des HKW zu sehen sind. Diese Positionierung betont nicht nur Alarcón Lams Engagement für Kunst im öffentlichen Raum, sondern den Aspekt von Zugänglichkeit generell: Diese Flaggen sollen nicht weniger öffentlich sein als die National-flaggen im Regierungsviertel nebenan.

Overseas Peach in Auftrag gegeben vom Haus derKulturen der Welt (HKW), produziert von Esvin Alarcón Lam und HKW, 2024

Werke in der Ausstellung: Overseas Peach (2024), Serie von Flaggen, Sublimation auf Stoff, je 450 × 700 cm; Journey to the West (2024), Zeichnung, Papier und Wachsstift, 75 × 57 cm. Courtesy Esvin Alarcón Lam und Henrique Faria, New York