Als Kind mit ihren Eltern nach Réunion migriert, wurde Myriam Omar Awadi in unterschiedlichen sozialen Kontexten mit ihrem vielfältigen Erbe konfrontiert. Zentrale Fragen von Identität und Zugehörigkeit begleiten sie ihr Leben lang und prägen ihre multidisziplinäre künstlerische Arbeit mit Zeichnungen, Videos, Keramik und Installationen. Für Chiromani, boule à facettes (Chiromani, Facettenkugel, 2021) webte Awadi Quilts, die Erzählungen des Andersseins aus Réunion und den Komoren verknüpfen. Dafür nutzte sie den komorischen Stoff Chiromani, in den sich unverheiratete Frauen hüllen, um an großen Hochzeitszeremonien teilzunehmen, bei denen sie traditionell nicht willkommen sind. Awadi beschäftigt sich auch mit den Traditionen des Geschichtenerzählens von Frauen aus Juzur al-Qamar, Mohéli, Anjouan, Grande Comore, Mayotte und anderen Regionen am Indischen Ozean. In Les feux que vos derniers souffles ravivent (Die Feuer, die deine letzten Atemzüge entfachen, 2018–fortlaufend), verbindet Awadi Poesie und visuelle Ästhetik als Reminiszenz an trumba, die heilenden Rituale der Besessenheit auf den Komoren, in Madagaskar und Tansania, wo Geister und Ahn*innen angerufen werden, um den Körper vom Leiden zu befreien. Die so erzählten Geschichten erinnern an Frauensolidarität und Systeme der gegenseitigen Unterstützung als poetische Mittel im Kampf gegen das koloniale Patriarchat. Bei Forgive Us Our Trespasses / Vergib uns unsere Schuld präsentiert Awadi drei Serien von Zeichnungen – ein Herbarium der Lüste, das für eine Form des ‚feministischen‘ Widerstands steht, der den diversen zeitgenössischen Artikulationen des Begriffs im Westen vorausgeht.

Werke in der Ausstellung: Fleurs jaunes (Gelbe Blumen, 2012), Zeichnungen auf Papier aus einem Moleskine-Notizbuch, Aquarell, Bleistift, 13 × 21 cm; Nature morte et petite morte (Stilleben und kleiner Tod, 2009), Zeichnungen auf Papier aus einem Moleskine-Notizbuch, Aquarell, Bleistift, 9 × 14 cm; „Die blaue Blume der Romantik“ Penises also bloom (2024), Meerwasser, ultramarinblaues Aquarell, Zeichnungen auf Papier aus einem Moleskine-Notizbuch, Titel inspiriert durch den Roman Heinrich von Ofterdingen von Novalis, 19 × 25 cm. Courtesy Myriam Omar Awadi