Für ihre hybriden Zeichnungen schöpft Sandra Vásquez de la Horra aus dem Alltagswissen. In synkretistischen Darstellungen schafft sie Figuren und allegorische Szenen, die verschiedene Traditionen miteinander verschmelzen – von Indigener und mestizischer Mythologie bis zu politischen Slogans oder Weisheiten der afro-karibischen Santería. In einem Prozess, der traditionelle Maltechniken transzendiert, zeichnet sie zunächst mit Bleistift auf Papier, das sie anschließend färbt und in Bienenwachs taucht. Die Folge ist eine Transfiguration des Mediums. Ähnlich wie bei der Gravur wird das Werk durch das Wachs versiegelt, das weiße Blatt nimmt eine warme Tönung an. Wie auf Papyrus oder Haut erhalten die Zeichnungen so neues Leben und erinnern an antike Zeichen oder zeitgenössische Tattoos. Für Forgive Us Our Trespasses / Vergib uns unsere Schuld schuf Vásquez de la Horra El Ojo del Huracán (Das Auge des Sturms, 2024), eine großformatige Zeichnung, die die spirituelle Bedeutung von Wasser in verschiedenen Glaubenssystemen in Abya Yala thematisiert. Das Werk zeigt eine weibliche Figur, diemit einem Kind aus dem Meer steigt, und verschiedene Stimmen und Hoffnungen verkörpert, darunter die Pincoya, ein Fruchtbarkeitssymbol der Chilote im Süden Chiles, oder Yemanjá, den Geist des Wassers der Yoruba. Die titelgebende Redewendung sieht die Künstlerin als metaphorische Referenz an die vielen Menschen, die voll Hoffnung Ozeane überqueren. Um es in Vásquez de la Horras eigenen poetischen Worten zu sagen: „Grenzen überschreiten / Aus Mexiko aufbrechen / Alles zurücklassen / Im Auge des Sturms waren wir immer Überlebende / Nie erreichte ich den Hafen / In deinem leeren Blick lese ich, dass es kein Morgen gibt.“

In Auftrag gegeben vom Haus der Kulturen der Welt (HKW), produziert von Sandra Vásquez de la Horra und HKW, 2024

Werk in der Ausstellung: El Ojo del Huracán (2024), Bleistift, Aquarell, Gouache auf Papier, Wachs, 303 × 158 cm. Courtesy Sandra Vásquez de la Horra