Hit Man Gurungs und Sheelasha Rajbhandaris Werke stützen sich auf umfassende Recherchen, in deren Fokus die Pluralität von Narrativen steht. In diesem Geist haben sie auch 2013 mit anderen das Künstlerkollektiv ArTree Nepal gegründet, das sich auf die verschiedenen Indigenen Ontologien des Landes stützt. Gurung und Rajbhandari untersuchen das Nebeneinander von Ritualen, Mythen und mündlichen Überlieferungen einerseits und historischen Darstellungen andererseits – eine Koexistenz, die nicht ohne Reibungen verläuft –, um eine dynamische Synthese zwischen diesen verschiedenen Perspektiven zu generieren, die auf Zusammenhalt statt Antagonismus abzielt. In ihren jüngsten Werken befassen sie sich mit der geopolitischen Lage Nepals, der historischen Bedeutung des Landes als Teil der Handelsroute durch den Himalaya sowie mit den Anforderungen an den dortigen Arbeitsmarkt und die natürlichen Ressourcen, die dem wachsenden Einfluss der Nachbarländer Indien und China unterworfen sind. Eine der zentralen Legenden der nepalesischen Geschichte dreht sich um die Gurkhas, kampferprobte Söldner, die in unzähligen Schlachten über Jahrhunderte hinweg für Angst und Schrecken sorgten. Die Tatsache, dass eine unverhältnismäßig hohe Anzahl nepalesischer Soldat*innen von Russland für den Angriffskrieg in der Ukraine rekrutiert wurde, lässt sich als logische Fortsetzung dieser Geschichte begreifen. Sie spiegelt das umfassendere Phänomen der nepalesischen Arbeitsmigration vor allem nach Malaysia und in die Golfstaaten wider: ein Produkt der wirtschaftlichen Instabilität und der daraus resultierenden sozialen Fragmentierung des Landes. Die Elemente von Gurungs und Rajbhandaris neuer Auftragsarbeit A Map of Faded Dreams (2024–25) reichen von malaiischen Batikstoffen, die ein Gurkha-Soldat als eine Art Opfergabe nach Hause schickt, bis zu einem Wanderarbeiter in der Wüste von Katar, der von kaphal-Beeren aus dem Himalaya träumt. Die gespenstischen Auswirkungen der kolonialen Entwurzelung Indigener Völker im letzten Jahrhundert und die Realität heutiger Arbeitsausbeutung verbinden sich mit einer zutiefst persönlichen Reflexion über Familien-geschichten zu einem Resonanzraum, in dem die makro- und mikrohistorischen Bedingungen alltäglicher Existenz bis in die nepalesische Gegenwart nachhallen.

In Auftag gegeben vom Haus der Kulturen der Welt (HKW), produziert von Hit Man Gurung, Sheelasha Rajbhandari und HKW, 2024–25

Werk in der Ausstellung: A Map of Faded Dreams (2024–25), Cyanotypie-Drucke auf Archivpapier, Siebdrucke auf Baumwolle, Video, Audio, Tapete, Batiken, Maße variabel. Courtesy Familienfoto-Archive von Hit Man Gurung und Mekh Limbu, Subas Tamang, Anju Nagarkoti