Ryan Villamael

Ryan Villamael, Locus Amoenus (2017–), Ausstellungsansicht, Ateneo Art Gallery, 2018. Courtesy Silverlens (Manila/New York)
Ryan Villamael
Ryan Villamael nutzt die präzise Handarbeit des pabalat-Scherenschnitts, eine traditionelle philippinische Kunstform, um Skulpturen und Installationen zu schaffen, deren konzeptionelle Komplexität ein utilitaristisches Verständnis von Handwerk infrage stellt. Die Fragilität des Papiers, seine Anfälligkeit für Sonneneinstrahlung und Feuchtigkeit, steht im Gegensatz zu seiner zentralen Rolle als Material, auf dem über Jahrhunderte hinweg Epen, politische Traktate, Lyrik, Rechtsverordnungen und Handelsprotokolle aufgezeichnet wurden. In den alternativen Kartografien, die Villamael – teils durch die Dekonstruktion historischer Karten und Bücher – erzeugt, deuten die schnittbedingten Leerräume auf die Brüche, Irrwege und Fehlkalkulationen der kolonialen Eroberung ebenso hin wie auf ein subjektives Gespür für einen Ort und ein Gefühl von Zugehörigkeit. Die Zerstückelung festgelegter Routen und Grenzen sowie die Porosität, die den Karten durch ihre Umwand lung in Skulpturen verliehen wird, führen zu einer Neubestimmung von Lokalität als Kontinuum: ein Ansatz, in dem sich zum einen die Arbeit seines Vaters als overseas filipino worker (OFW), zum anderen die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Philippinen und der Arbeitsmigration ihrer Bewohner*innen, ins-besondere im Kontext der Seefahrt, spiegelt. Diese Auflösung definierter Wege und Grenzen und die Durchlässigkeit der Karten, die aus ihrer Umwandlung in Skulpturen rührt, zerschlagen den ursprünglich gezeigten Ort und konfigurieren ihn neu als Kontinuum. Villamaels großformatige, von der Decke hängende Werke wie Locus Amoenus wirken fast wie in der Luft schwebendes Blattwerk. Durch sie scheint sich das unkontrollierte Übermaß der Natur Bahn zu brechen, was Erinnerungen an Algenblüten oder unterirdische Myzel-Netzwerke hervorruft. Ihre Positionierung macht eine klassische „Lesart“ der aus der ursprünglichen Form gebrachten Inhalte unmöglich. Und doch vermitteln ihre physische Präsenz und zarte Schönheit die Distanz zwischen geopolitischen Realitäten und deren sehr realen, manchmal unerwarteten Auswirkungen auf den Lebensweg des Individuums.
Produziert von Ryan Villamael und Haus der Kulturen der Welt, 2024–25
Werk in der Ausstellung: Locus Amoenus (2017–), kopierte Karten. Maße variabel Courtesy Ryan Villamael und Silverlens (Manila/New York)