Yun-Fei Ji

Yun-Fei Ji, The Three Gorges Dam Migration (2008), Ausschnitt. Courtesy James Cohan, New York
Wenn die traditionelle Shan-Shui-Malerei, ein klassischer Landschaftsstil der chinesischen Tuschemalerei, den Wunsch ji qing shan shui (sich den Bergen und dem Wasser zu überlassen) der Gebildeten früherer Zeiten zum Ausdruck bringt, so lassen sich Yun-Fei Jis Werke als eine Fortsetzung des Genres und der darin eingebetteten daoistischen Philosophie in einer Zeit lesen, in der die ‚natürliche‘ Umwelt sich unter dem Einfluss des Menschen drastisch verändert. Jis Werke und vor allem seine Handrollen stellen oftmals Migrationswellen vergangener Zeiten dar, die sich über die Landschaft ergossen und damit auch ein modernes Shan-Shui-Verständnis prägten. Vom Langen Marsch der Roten Armee (1934–1936) über den Großen Sprung nach vorn (1958–1962) und die Landverschickung im Zuge der Kulturrevolution (1950–1970er Jahre) bis hin zur Reform und Öffnung (seit 1978) haben verschiedene chinesische Infrastrukturprojekte, Revolutionen und Reformen unzählige Vertreibungen, enorme Verluste und irreversible Amnesien verursacht, die Ji in seinen Werken reflektiert. In der drei Meter breiten Arbeit The Three Gorges Dam Migration (2008) nimmt Ji die Umsiedlung von über einer Million Menschen entlang des Jangtsekiangs in den Blick. Sie wurden durch das megalomanische Wasserkraftwerk des Drei-Schluchten-Damms, ein Symbol der industriellen Moderne Chinas, vertrieben. In Anlehnung an die Shan-Shui-Tradition gibt Ji diese Ereignisse auf fantastische und folkloristische Weise wieder, indem er unheimliche Figuren wie ein wandelndes Stachelschwein und andere unheimliche Gestalten einführt. Gespenster, Dämonen und Skelette tauchen häufig in den Gemälden auf und bewegen sich unter den erschöpften und desorientierten Menschen. In Jis Bildern nimmt das daoistische Motto tian ren he yi (Harmonie zwischen Mensch und Natur) eine andere Form an: eine Geschichte der Überformung der Natur und damit der Verarmung des Menschen, angetrieben von der Maschinerie der Moderne.
Werke in der Ausstellung: Three Gorges Dam Migration (2008), Aquarelldruck auf Seide, 44,5 × 551,2 cm; The Village and its Ghosts (2014), Aquarelldruck auf Seide, 40,6 × 194,3 cm. Courtesy Yun-Fei Ji und James Cohan, New York