Zoarinivo Razakaratrimo (Madame Zo) war eine madagassische Künstlerin, deren Subversion der alten Lamba-Webtradition der Insel in einem tiefen Verständnis der lebendigen Gegenwart materieller Objekte ruhte. Dies schloss auch und gerade solche Gegenstände ein, die ihres ursprünglichen Verwendungszweckes beraubt und somit ihren Codes entrissen wurden. Weberei diente ihr als Mittel, Zugang zum Unbewussten zu finden, aber auch zu energetischen Strömen, Erinnerungsfragmenten der Vorfahren und gebrochenen Stimmen. Die eingesetzten Materialien – Kupferdraht, Seide, Magnetband, pflanzliches Material, Plastikmüll, Glasscherben und Brot – ließen die Dreidimensionalität der Weberei anschaulich werden, den Übergang vom flächigen, wenn auch strukturierten Textil zur Skulptur. Madame Zos Auseinandersetzung mit dem Sujet der Sterblichkeit und dem Trost, der sich in materiellen Spuren finden lässt, ist in der Dynamik von Erzählung und Abstraktion, Entropie und Regeneration zu spüren, die ihr Werke durchdringt. Gleichzeitig tendiert die poetische Exzentrik ihrer Interessen und ihres Schaffens nicht zur Dissonanz, sondern zu einer Art generativer Alchemie. Die Andeutung einer materiellen Transformation offenbart sich in einem Werk wie Santé de fer (2020), dessen Hauptelemente Kupfer und Kräuter sind. Dass beide Stoffe als Vehikel einer Übertragung gelten – das eine wissenschaftlich und energetisch, das andere medizinisch und eher volkstümlich – stellt für Zo keinen Widerspruch dar, sondern lädt zum Dialog zwischen dem Anorganischen und dem Organischen. In einem anderen ausgestellten Werk, Perdu dans la mer (2019), zu Deutsch „auf dem Meer verloren“, sind grüne Fäden, Stoffe und Magnetbänder zu einer von oben herabhängenden Installation verarbeitet, die von der Seite betrachtet an ein wackeliges Floß erinnert. Es fällt nicht schwer, die Verwendung von Treibholz – einem Material, das nach einer unendlich langen Zeit, in der es der Wucht der Wellen unterworfen war, an Land gespült wird – als Metapher für die Unsicherheit der Überfahrten von Migrant*innen auf den Meeren von heute zu deuten.

Werke in der Ausstellung:
Silence 1 (2013), Magnetband, 315 × 143 cm
La Bague (2016), Magnetstreifen, grauer Faden, Kupfer, 186 × 196 × 1 cm
Rayons de soleil (2017), grauer Faden, Magnetband,Sisalband, 217 × 190 cm
ohne Titel (2018), Magnetband, Kupferdraht, 270 × 195 cm Monsieur (2020), grauer Faden, Krawatten, graue Schnüre, 16-mm-Film, 184 × 180 cm
Son coupé (2020), aufgeschnittener weißer Stoff, schwarze Schaumstoffschnüre, 200 × 195 cm
ohne Titel (2019), grauer Stoff, braune 16-mm-Film, weißer Stoff, Kunststoff, 272 × 193
ohne Titel, (ohne Jahr), white fabric, mirror, silk cotton, 195 × 210 cm
ohne Titel (2019), schwarzer Stoff, weißer Stoff, rostfarbener Raffiabast, 240 × 207 cm
ohne Titel (2018), Kupferdraht, schwarzes Band,Baumwoll-Ecru-Gemisch, 200 × 106 cm
ohne Titel (ohne Jahr), Zeitung, violettes Farbband, Computerschaltkreis, 157 × 203 cm
Perdu dans la mer (2019), schwarzer Stoff, Treibholz, Magnetband, grüner Faden, grauer Faden, 270 × 186 cm
La tête du pays (2016), grauer Draht, Kupfer, 210 × 186 cm
La Fortune (2016), Kupferdraht, Magnetband, grüner Stoff, Seil, weißes Rohr, Spule, Jutedraht, Stoffband, Kunststoffband, grünes Band, feines Sisalseil, lange Metallteile, runde Metallteile, Wildseidendraht, Zweige, 175 × 180 cm
Mediart (2015), Zeitung, Magnetband, 236 x 192 cm
ohne Titel 10 (2019), Stoff, 16-mm-Film, Baumwollgarn, 108 × 76 cm
Courtesy Sammlung Fondation H, Antananarivo, Madagaskar