Andere Geschichten schreiben: Zur Benennung der Räume am HKW
Das Haus der Kulturen der Welt widmet seine Räume einer Reihe von Frauen aus verschiedensten Welten, die die Welt als Ganzes ein Stück besser gemacht haben. Viele von ihnen fanden aus ideologischen, politischen, wirtschaftlichen und patriarchalischen Gründen nie den Weg in die Geschichtsbücher, wurden aus der kollektiven Erinnerung getilgt oder marginalisiert. Wir hoffen, dazu beitragen zu können, Geschichte(n) anders zu schreiben sowie Leben und Werk dieser Frauen zu würdigen, indem wir sie der Infrastruktur dieses historischen Gebäudes einschreiben.
Gloria Anzaldúa Treppe
(1942, Harlingen–2004, Santa Cruz)
Chicana, Tejana, lesbisch, Feministin, Dichterin und Kulturtheoretikerin: Gloria Anzaldúa war und ist für Generationen von Feminist*innen eine Leitfigur. Sie selbst bezeichnete sich als border woman und lehrte die Existenz im Zwischenraum La frontera – die Grenze als herida abierta, eine offene Wunde, in der die Ausgegrenzten leben. Aus den Brüchen und Eigenheiten von Lebensräumen und Identitäten erwuchs ihre Vision einer transnationalen feministischen Sprache. Zu ihren Werken zählen This Bridge Called My Back: Writings by Radical Women of Color (1981), Borderlands/La Frontera: The New Mestiza (1987) und This Bridge We Call Home: Radical Visions for Transformation (2002).
Lorenza Böttner Büros
(1959, Punta Arenas–1994, München)
Lorenza Böttner war eine chilenisch-deutsche trans* Künstlerin. Als Kind verlor sie bei einem Unfall beide Arme und kam zu medizinischen Behandlungen nach Deutschland. Während ihrer langwierigen Genesung wurde ihr Körper, der sich den oft mit weißen cis Frauenkörpern assoziierten Schönheitsidealen widersetzte, zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit, die sich gegen die vorherrschenden Vorstellungen von Behinderung wandte. Als Vertreterin einer interdisziplinären Kunst, die um Behinderung und trans* Identität kreist, malte die Künstlerin und Aktivistin mit Mund und Füßen. Wichtige Ausstellungen ihrer Arbeit waren Requiem for the Norm (Kunstverein Stuttgart, 2019) sowie die documenta 14 in Kassel, bei der 2017 ihre multimedialen Selbstporträts zu sehen waren.
Lydie Dooh Bunya Space
(1933, Douala–2020, Goussainville)
Die Autorin Lydie Dooh Bunya war eine wichtige Stimme der Schwarzen Frauen in der französischen Frauenbewegung. Der Unterrepräsentation von Afrikaner*innen in der französischen Politik zum Trotz entwickelte sie sich zu einer zentralen Figur im Kampf gegen Zwangsverheiratung, Polygamie und Genitalverstümmelung afrikanischer Frauen. Als Redakteurin, u. a. für den Sender Office de Radiodiffusion Télévision Française, äußerte sie sich zu gesellschaftlichen Themen. 1981 war sie Mitbegründerin des Mouvement pour la défense des droits de la femme noire, einer Bewegung, die sich der spezifischen Kämpfe Schwarzer Frauen annahm. 1977 veröffentlichte sie La Brise du jour.
Hedwig Dohm Eingang
(1831, Berlin–1919, Berlin)
Als moderne Denkerin war Hedwig Dohm ihrer Zeit voraus – bis heute: Viele ihrer feministischen Forderungen sind noch immer nicht verwirklicht. Auf Basis ihrer Analyse patriarchalischer Denkstrukturen in literarischen Werken des 19. Jahrhunderts argumentierte sie, dass Weiblichkeit als soziale Eigenschaft nicht biologisch bedingt, sondern anerzogen ist. Sie kämpfte für gleiche Ausbildungsmöglichkeiten für alle, für die Zulassung von Frauen an Hochschulen und das Frauenwahlrecht. Als scharfsinnige Autorin mit Sinn für Humor verfasste Dohm mehrere Komödien, die im Berliner Schauspielhaus aufgeführt wurden. Zu ihren bekanntesten Werken gehört Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung (1902).
Lili Elbe Garten
(1882, Vejle–1931, Dresden)
Lili Elbe war eine dänische Künstlerin und eine der ersten Personen, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation an Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft in Berlin und an der Städtischen Frauenklinik Dresden unterzogen. Elbes semi-autobiografische Erzählung Fra mand til kvinde wurde in ihrem Todesjahr veröffentlicht. Die deutsche Übersetzung Ein Mensch wechselt sein Geschlecht: Eine Lebensbeichte erschien posthum 1932. 2015 kam The Danish Girl in die Kinos, ein von ihrer Biografie inspirierter Film.
Semra Ertan Garten
(1957, Mersin–1982, Hamburg)
Semra Ertan war eine türkische Dichterin, Arbeiterin und politische Aktivistin. Im Alter von vierzehn Jahre kam sie nach Deutschland, wo ihre Eltern seit kurzer Zeit als sogenannte Gastarbeiter*innen lebten. Mit fünfzehn begann sie – zunächst auf Türkisch, dann auf Deutsch – Gedichte zu schreiben. Aus Protest gegen die zunehmende Fremdenfeindlichkeit in Deutschland zündete sie sich im Alter von fünfundzwanzig Jahren an. Zuvor hatte sie ihre Tat im NDR und ZDF angekündigt und das berühmte Gedicht ‚Mein Name ist Ausländer‘ (1981) vorgetragen. 2020 wurden über 350 von Ertans Gedichten unter dem Titel Semra Ertan: Mein Name ist Ausländer. Benim Adım Yabancı in einer türkisch-deutschen Ausgabe veröffentlicht.
Forough Farrokhzad Garten
(1934, Teheran–1967, Teheran)
Forough Farrokhzad, modernistische Dichterin und Filmemacherin, gilt als eine der wichtigsten Stimmen der iranischen Frauen. Nach der Islamischen Revolution waren ihre Gedichte fast ein Jahrzehnt lang verboten, weil sie kontroverse Themen wie weibliche Sinnlichkeit behandelten. Vier Gedichtbände, Gefangen (1955), Die Mauer (1956), Auflehnung (1958) und Wiedergeburt (1964) veröffentlichte sie in ihrer kurzen Lebenszeit. In deutscher Übersetzung erschienen u. a. die Anthologien Irdische Botschaft. Gedichte (1984) und Jene Tage. Gedichte (2003). 1962 führte Farrokhzad Regie Das Haus ist schwarz, einem einfühlsamen Dokumentarfilm über Leprakranke im Iran.
Safi Faye Saal
(1943, Dakar–2023, Paris)
Safi Faye, geboren in einem kleinen Serer*innen-Dorf in der Region Sine-Saloum, Senegal, war Filmemacherin und Ethnologin. Sie war nicht nur die erste Frau aus der Subsahara, die bei einem Film Regie führte (La Passante, 1972), sondern auch die erste, die dies bei einem kommerziellen Spielfilm tat (Kaddu Beykat, 1975). Fayes Filmschaffen, das sich über beinahe fünfzig Jahre erstreckt, ist in seiner Eindringlichkeit und thematischen Relevanz noch zu wenig untersucht, auch wenn ihre Dokumentarfilme für den Fokus auf die Gemeinschaft sowie die Erfahrungen von Frauen und Kindern in ländlichen Gebieten viel Zuspruch erhielten. Zu ihren Filmen zählen Fad'jal (Come and Work, 1979), Selbe: One Among Many (1982), Tesito (1989) und Mossane (1996).
Marielle Franco Space
(1979, Rio de Janeiro–2018, Rio de Janeiro)
Marielle Franco identifizierte sich als Schwarze Frau, Mutter und Cria (Tochter) der Maré-Favela in Rio de Janeiro. Nach einem Studium der Soziologie sah sie ihre Aufgabe darin, rassistisch und sexuell Diskriminierte gegenüber Polizeigewalt in Schutz zu nehmen, die – wie sie in ihrer Dissertation argumentiert – das ohnehin schon kriminelle Modell des Staates noch verstärkte. 2016 wurde sie für die PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit) in den Stadtrat von Rio de Janeiro gewählt. Am 14. März 2018, kurz nachdem sie beauftragt worden war, das Eingreifen der Bundesbehörden in die öffentliche Sicherheit in Rio de Janeiro zu beobachten, wurde sie ermordet. Ihr Tod löste eine weltweite Welle der Empörung und Anteilnahme aus.
Emahoy Tsegué-Maryam Guèbrou Space
(1923, Yewubdar–2023, Jerusalem)
Emahoy Tsegué-Maryam Guèbrou war eine Komponistin, Pianistin und Nonne in der äthiopisch-orthodoxen Tewahedo-Kirche. Seit ihrer Kindheit beschäftigte sie sich mit traditionellen Liedern ihrer Heimat. Später erhielt sie eine Ausbildung in klassischer Violine und Klavier, begeisterte sich aber auch für den frühen Jazz. In ihren Kompositionen verbindet sie Salonmusik für Klavier, Gospel, Ragtime, äthiopische Volksmusik und die Chortraditionen ihrer Kirche. Lieder wie ‚Ballad's Love‘, ‚The Homeless Wanderer‘ und ‚Song of the Sea‘ spiegeln ihr persönliches Leben wie auch bedeutende Ereignisse der äthiopischen Geschichte wieder. Zu ihren wichtigsten Alben gehören Spielt Eigene Kompositionen (1963), The Hymn Of Jerusalem, The Jordan River Song (1970), The Visionary – Piano Solo (2012), Jerusalem (2023) sowie die gesammelten Werke Éthiopiques Volume 21: Ethiopia Song (2006).
Zakia Ismael Hakki Raum
(1939, Bagdad–2021, Annandale)
Zakia Ismael Hakki war eine faili-kurdische Anwältin, die 1959 die erste Richterin des Irak wurde. 1952 gründete sie die Kurdische Frauenföderation, der sie von 1958 bis 1975 vorstand. 1970 wurde sie in das Führungsgremium der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) gewählt und spielte sowohl im Kampf der Frauen um Emanzipation als auch beim kurdischen Aufstand von 1991 eine Schlüsselrolle. Wegen ihrer politischen Haltung wurde sie von der Baʿath-Partei von 1975 bis 1996 unter Hausarrest gestellt, bis sie schließlich in die USA ins Exil ging. 2003 kehrte sie in den Irak zurück und wurde in die Nationalversammlung des Landes gewählt, wo sie als Beraterin in Verfassungsfragen tätig war.
Fannie Lou Hamer Spiegelteich
(1917, Ruleville–1977, Mound Bayou)
Fannie Lou Hamer war eine US-Bürgerrechtsaktivistin und Verfechterin des Wahlrechts für Schwarze. Als jüngstes von zwanzig Kindern stammte Hamer aus bescheidenen Verhältnissen im Mississippi-Delta. 1964 gründete sie die Mississippi Freedom Democratic Party, die sich gegen Versuche der örtlichen Demokratischen Partei wandte, Schwarze von der Wahl abzuhalten. Den Nationalkongress der Demokraten 1964 nutzte sie, um wortgewaltig gegen die Segregation von Afro-Amerikaner*innen in Mississippi anzugehen. Sie half auch bei der Organisation des Freedom Summer von 1964, einer Initiative, die junge Student*innen aus dem Ausland nach Mississippi brachte, um bei der Registrierung Schwarzer Wähler*innen zu helfen.
Bessie Head Foyer
(1937, Pietermaritzburg–1986, Serowe)
Bessie Head gilt als eine der prägnantesten Stimmen der botsuanischen Literatur. Sie wurde im Sanatorium des Fort Napier Hospital in Pietermaritzburg in KwaZulu-Natal (damals Natal) geboren. Weil die Beziehung zwischen ihrer weißen Mutter und ihrem Schwarzen Vater unter dem südafrikanischen Immorality Act als illegal galt, wurde sie sofort nach ihrer Geburt adoptiert. Ihre Schriften, die sich jeglicher Kategorisierung widersetzen, thematisieren Ideale wie Gerechtigkeit und Gleichheit und analysieren die Psychologie sozialer Beziehungen und Geschlechterverhältnisse im Apartheidsystem. Zu ihren wichtigsten Werken zählen When Rain Clouds Gather (1969), Maru (1971), Question of Power (1973) und The Collector of Treasures (1977).
Magnus Hirschfeld Bar
(1868, Kolberg–1935, Nizza)
Magnus Hirschfeld war ein jüdisch-deutscher Arzt, Sexualwissenschaftler, Empiriker und Sozialist. Er wandte sich gegen die Vorstellung, gleichgeschlechtliche Neigung sei pathologisch. 1897 war er Mitbegründer des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK), das sich für die Rechte queerer Menschen einsetzte. Das von Hirschfeld 1919 in Berlin gegründete Institut für Sexualwissenschaft – auf einem Teil des damaligen Geländes steht heute das HKW – wurde 1933 zerstört; Hirschfeld wurde ins Exil gezwungen und seine Bücher verbrannt. Zu seinen Studien zählen Sappho und Sokrates (1896), Die Transvestiten: Eine Untersuchung über den erotischen Verkleidungstrieb (1910), Warum hassen uns die Völker? (1915) und Racism (1938).
2015 nach Magnus Hirschfeld benannt, bewahrt die Magnus Hirschfeld Bar dessen zukunftsweisendes Erbe und wird künftig vom angrenzenden Lili Elbe Garten ergänzt.
Ika Hügel-Marshall Eingang
(1947, Roth–2022, Berlin)
Ika Hügel-Marshall war eine afro-deutsche Schriftstellerin, Pädagogin und Aktivistin. Als Tochter eines afro-amerikanischen Soldaten und einer deutschen Mutter wurde sie im Alter von fünf Jahren in ein Waisenhaus geschickt, wo sie unter schwerer rassistischer Diskriminierung litt. Diese Erfahrungen motivierten sie, sich für bessere Lebensbedingungen in einem Frankfurter Kinderheim einzusetzen. Sie war Mitglied der afro-deutschen Frauenbewegung (ADEFRA) und half bei der Gründung der Initiative Schwarze Deutsche. Zu dieser Zeit freundete sie sich mit Audre Lorde an, deren Gedichte eine Inspirationsquelle ihrer Arbeit waren. Ihre Autobiografie Daheim unterwegs. Ein deutsches Leben wurde 1998 veröffentlicht. Sie ist Co-Autorin des Drehbuchs zu Audre Lorde – The Berlin Years 1984 to 1992 (2020).
Jacqueline Kahanoff Büros
(1917 Kairo–1979, Tel Aviv)
Jacqueline Kahanoff, Tochter einer französischsprachigen jüdischen Familie in Kairo, studierte an der Columbia University in New York. In ihrer Arbeit als Romanautorin, Essayistin, Herausgeberin und Journalistin entwickelte sie das visionäre Konzept des Levantinismus, das von Hybridität, Kosmopolitismus und vielstimmigen Identitäten geprägt ist. Ausgehend von ihren Erfahrungen im Ägypten der Zwischenkriegsjahre kritisierte sie westliche Vorstellungen von Multikulturalismus, berücksichtigte die Rolle mizrachischer und sephardischer Jüd*innen in der Levante und hinterfragte starre Geschlechterrollen. Zu Kahanoffs bekanntesten Werken gehören der vierteilige Essayzyklus ‚A Generation of Levantines‘ (1959) und ihr Roman Jacob's Ladder (1951).
Les Nana Benz Terrasse
(1960er–1980er Jahre, Lomé)
Les Nana Benz (1960er–1980er Jahre, Lomé, Togo)
Die als Les Nana Benz bekannten togoischen Frauen waren maßgeblich an der Entwicklung der Wachsstoffindustrie beteiligt. Der Name ist ein Neologismus: Nana bedeutet Mutter oder Großmutter; Benz bezieht sich auf die Autos, die sie fuhren. Als in den 1960er Jahren politische Unruhen in Ghana die Einfuhr von Textilien verhinderten, importierten sie in großen Mengen holländischen Wachsstoff aus Indonesien, um ihn an togoische Einzelhändler*innen weiterzuverkaufen. So erlangten sie ein Monopol im Druckdesign, dessen visuelle Sprache aus Symbolen, Farben und Slogans das politische Gleichgewicht im Land beförderte: Stoffe, mit denen sich afrikanische Frauen identifizieren konnten und die sie mit Stolz erfüllten.
Miriam Makeba Auditorium
(1932, Johannesburg–2008, Castel Volturno)
Miriam Makeba war eine südafrikanische Sängerin, Komponistin, Schauspielerin und Menschenrechtsaktivistin. Mit ihrer gefühlvollen Stimme verlieh sie dem Schmerz ihres Exils Ausdruck, gleichzeitig wurde sie zu einer führenden Persönlichkeit der Anti-Apartheid- und Antirassismus-Bewegungen in den USA, in Südafrika und der ganzen Welt. Nach der Freilassung von Nelson Mandela kehrte sie in ihre Heimat zurück, wo sie bei ihrer Familie, ihren Enkel*innen und Urenkel*innen lebte und sich weiter gegen Gewalt an Schwarzen einsetzte. Zu ihren bekanntesten Alben zählen The Many Voices of Miriam Makeba (1962), An Evening with Belafonte/Makeba (1965), The Queen of African Music (1987), Welela (1989) und Homeland (2000).
Mrinalini Mukherjee Halle
(1949, Mumbai–2015, Neu-Delhi)
Mrinalini Mukherjee war eine indische Bildhauerin. Einen Großteil ihrer vier Jahrzehnte umfassenden Karriere arbeitete sie mit Naturfasern, wandte sich schließlich aber auch Keramik und Metall zu. In ihre Ästhetik flossen Figurationen indischer Skulpturen, traditionelle Kunst, Hindu-Mythologie, modernes Design sowie regionales Textil- und Kunsthandwerk ein. In aufwendiger Handarbeit schuf sie geheimnisvolle und erotische Formen, in denen die Grenze zwischen Realität und Abstraktion aufgehoben war. Ihre Arbeiten waren unter anderem in Einzelausstellungen in der National Gallery of Modern Art, Neu-Delhi, 2015, und auf der Kochi-Muziris Biennale, 2018, sowie im Met Breuer, Metropolitan Museum of Art, New York, 2019, und auf der Biennale von Venedig, 2022, zu sehen.
Paulette Nardal Terrasse
(1896, Le François–1985, Fort-de-France)
Paulette Nardal, Journalistin und Übersetzerin, war eine führende Stimme der Négritude-Bewegung. 1920 wurde sie als erste Schwarze Studentin aus Martinique an der Pariser Sorbonne immatrikuliert. 1929 gründete sie zusammen mit ihren Schwestern den Salon de Clamart, in dem Schwarze Intellektuelle der Diaspora über den Kolonialismus in Afrika und die rassistischen Vorurteile in den Vereinigten Staaten und Westindien diskutierten. 1946 wurde sie zur Delegierten bei den Vereinten Nationen ernannt. 1948 kehrte Nardal nach Martinique zurück, um sich weiter für die antikoloniale Sache einzusetzen. Sie gründete die Zeitschriften La Revue du Monde Noir (1931–32) und La Femme dans la Cite (1945–51).
Beatriz Nascimento Halle
(1942, Aracaju–1995, Rio de Janeiro)
Die Schwarze radikale brasilianische Denkerin, Historikerin, Drehbuchautorin und Dichterin Beatriz Nascimento verband zeit ihres Lebens Aktivismus mit Wissenschaft. Sie widmete einen Großteil ihrer Arbeit den quilombos, autonomen Widerstands-Communitys, die von ehemals versklavten Menschen und ihren Nachkommen gegründet worden waren. Nascimento trug zur Anerkennung der quilombola-Gebiete bei und kämpfte gegen die brasilianische democracia racial. Ihre Essays sind in zwei portugiesischsprachigen Anthologien versammelt: Eu sou atlântica [Ich bin Atlantik, 2007] und Quilombola e intelectual: possibilidade nos dias de destruição [Quilombola und Intellektuelle: Möglichkeit in den Tagen der Zerstörung, 2018].
Itō Noe Eingang
(1895, Imajuku–1923, Tokyo)
Itō Noe war eine japanische Journalistin und anarchistische Feministin während der Meiji- und Taishō-Zeit. Im Alter von siebzehn Jahren begann sie, für die Zeitschrift Seitō [Blaustrumpf] zu schreiben, deren Chefredakteurin sie zwei Jahre später wurde. Den Schwerpunkt verlagerte sie auf die in Japan nach wie vor umstrittenen Themen Frauenemanzipation, Sexarbeit, freie Liebe und Abtreibung. Ihre Schriften stellten die traditionelle Ordnung japanischer Haushalte und das Ehesystem radikal in Frage, insbesondere durch die Bezugnahme auf Themen wie Intimität und Beziehungsformen. Von der Militärpolizei brutal ermordet, wirken ihre Ideen in radikalen japanischen Kreisen bis heute nach.
Bertha Parker Pallan Space
(1907, Chautauqua County–1978, Los Angeles)
Bertha Parker Pallan gilt als eine der ersten First-Nations-Archäolog*innen (Abenaki und Seneca). Ihre ‚außerakademischen‘ Kenntnisse wandte sie 1930 bei der Expedition zur Gypsum-Höhle an: Auf Basis unkonventioneller Methoden entdeckte sie den Schädel eines längst ausgestorbenen Riesenfaultiers neben menschlichen Artefakten und konnte damit nachweisen, dass Faultiere und Menschen die Höhle vor 10.000 Jahren gemeinsam bewohnten – eines der ersten Zeugnisse menschlichen Lebens in Nordamerika. Die Ergebnisse weiterer Ausgrabungen dokumentierte sie in wissenschaftlichen Veröffentlichungen wie ‚Kachina Dolls‘ (1939), ‚California Indian Baby Cradles‘ (1940) sowie Artikeln über den Yurok-Stamm, darunter ‚Some Yurok Customs and Beliefs‘ (1942 und 1943).
Violeta Parra Spiegelteich
(1917, San Carlos–1967, Santiago)
Schon früh begann Violeta Parra mit Unterstützung ihres Vaters, eines Musiklehrers, Lieder zu schreiben, die sie in Bars, Zirkuszelten und Ballsälen vortrug. Größere Bekanntheit erlangte sie als Mitbegründerin der sozialpolitischen Bewegung Nueva Canción [Neues Lied] in Chile. Als vielseitige Folkloristin malte sie, schuf Skulpturen, schrieb Gedichte und webte Arpilleras (traditionelle Teppiche). Charakteristisch für Nueva Canción sind das populäre, gitarrenähnliche Begleitinstrument Guitarrón mit fünfundzwanzig Saiten sowie politische Liedtexte. Parras Erforschung des Genres trug zur Wiederbelebung der chilenischen Folklore bei und beeinflusste lateinamerikanische Künstler*innen über Generationen hinweg.
Sharmila Rege Eingang
(1964, Pune–2013, Pune)
Sharmila Rege war eine indische feministische Soziologin und Pädagogin. Sie versuchte, den sozialtheoretischen Begriff des common sense zu dekonstruieren, um die Beziehung zwischen Soziologie, Klasse und Gender neu zu fassen. Des Weiteren zog sie Verbindungen zwischen dem westlichen Patriarchat, der Kolonialgeschichte und dem traditionellen Kastensystem Indiens und setzte sich für einen Dalit-Feminismus ein. Am Krantijyoti Savitribai Phule Women's Studies Centre der Universität Pune führte sie einen mehrsprachigen Lehrplan ein. Zu ihren wichtigsten Werken zählen ‚Institutional Alliance between Sociology and Gender Studies: Story of the Crocodile and Monkey‘ (1997), Writing Caste/Writing Gender: Reading Dalit's Women Testimonials (2006) und Against the Madness of Manu (2013).
Nawal El Saadawi Eingang
(1931, Kafr Tahlah–2021, Kairo)
Nawal El Saadawi war eine Ärztin, Menschenrechtsaktivistin, Schriftstellerin und sozialistisch-feministische Theoretikerin. Sie veröffentlichte über fünfzig Bücher (Belletristik und Sachbücher), von denen viele weltweit Beachtung fanden. Zu Saadawis frühen Werken gehören eine Auswahl von Kurzgeschichten mit dem Titel Ich lernte zu lieben (1957) und ihr Debütroman Erinnerungen einer Ärztin (1958). Bericht aus dem Frauengefängnis (1986) beschreibt ihre Inhaftierung aufgrund von Kritik an Anwar Sadats Regime in Ägypten. Nachdem sie 1993 das Land als politisch Verfolgte verließ, unterrichtete Saadawi in den USA, bis sie 1996 zurückkehrte, um sich weiter aktivistisch zu betätigen.
Anna Seghers Garten
(1900, Mainz–1983, Berlin)
Anna Seghers war eine jüdisch-deutsche Schriftstellerin. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurden ihre Bücher verboten und verbrannt, sie selbst sah sich gezwungen, nach Frankreich und später Mexiko zu fliehen. 1947 kehrte sie nach West-Berlin zurück, siedelte aber 1950 nach Ost-Berlin über, wo sie zu einer prominenten Persönlichkeit im literarischen Diskurs und in Fragen sozialer Gerechtigkeit wurde. Sie war Gründungsmitglied der Akademie der Künste der DDR und trat später dem Weltfriedensrat bei. In ihren Romanen Das siebte Kreuz (1939) und Die Toten bleiben jung (1949) sowie in fast sechzig Kurzgeschichten und Essays untersuchte sie den Zusammenhang zwischen staatlicher Gewalt, Kapitalismus und Faschismus.
Nise da Silveira Büros
(1905, Maceió–1999, Rio de Janeiro)
Die brasilianische Psychiaterin Nise da Silveira revolutionierte Mitte des 20. Jahrhunderts die Behandlungsmethoden ihrer Disziplin und wandte sich gegen Elektroschocks und Lobotomie. 1936 wegen antimilitaristischem Aktivismus inhaftiert, gelang es ihr in den 1940er Jahren, am Nationalen Psychiatrischen Zentrum Pedro II in Rio de Janeiro Malerei und Töpfern als Therapiemethoden einzuführen. Die Kunsttherapie ermöglichte es den Patient*innen, ihre tiefsten Ängste auszudrücken; die dabei entstandenen Kunstwerke sammelte da Silveira im von ihr 1952 gegründeten Museu de Imagens do Inconsciente. Zu ihren Werken zählen Imagens do inconsciente [Bilder des Unbewussten, 1981] und O mundo das imagens [Die Welt der Bilder, 1992].
Angie Stardust Foyer
(1939, Norfolk–2007, Hamburg)
Die in Harlem aufgewachsene Angie Stardust war eine legendäre Schwarze Dragqueen, trans* Performerin, Soulsängerin, Filmschauspielerin und Nachtclubbesitzerin. Bereits im Alter von vierzehn Jahren setzte sie in New York City mit dem 82 Club und der Jewel Box Revue ein Zeichen gegen Rassismus und die Diskriminierung von trans* Menschen. Mit neunzehn tourte sie durch Europa und trat im Chez Nous in West-Berlin auf. 1983 zog sie nach Hamburg. Bevor sie dort 1991 Angie's Nightclub eröffnete, war sie Besitzerin des Crazy Boys, des ersten reinen Männerstripclubs in Deutschland, und avancierte zu einem Star des Pulverfass-Kabaretts. Sie spielte in mehreren Filmen mit, darunter Hard Women (1970), Die Alptraumfrau (1981), Stadt der verlorenen Seelen (1983) und Crazy Boys (1987).
Maria Katrina Stenberg Raum
(1884, Arvidsjaur–1969, Arvidsjaur)
Maria Katrina Stenberg war eine samische Bürgerrechtlerin, Lehrerin und Inspektorin des Svenska Samers Riksförbund [Nationaler Verband schwedischer Sami]. Ihr Engagement galt dem Erhalt der samischen Sprache und Traditionen sowie dem Schutz der Rentierzüchter*innen, der Wälder und der samischen Kirchenstadt Lappstaden. Sie trug dazu bei, das sozialdarwinistische Bild der Sami zu korrigieren, mit dem die ethnozentrischen und kolonialen Ansichten eines Großteils der schwedischen Bevölkerung einhergingen. 1920 verfasste sie (zusammen mit Valdemar Lindholm) das Manifest Dat Läh Mijen Situd!: Det är vår vilja: En vädjan till Svenska Nationen från Samefolket [Dies ist unser Wunsch. Ein Appell der Sami an die schwedische Nation].
Ceija Stojka Foyer
(1933, Kraubath an der Mur–2013, Wien)
Die aus einer Lovara-Roma-Familie stammende Ceija Stojka war eine österreichische Schriftstellerin, Künstlerin und Musikerin. Unter dem nationalsozialistischen Regime deportiert, verbrachte sie ihre Kindheit in drei Konzentrationslagern: Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück und Bergen-Belsen. Als Überlebende setzte sie sich für die Anerkennung des Genozids an den Roma und Sinti ein, der von faschistischen Regimen in ganz Europa verübt wurde. Stojka verarbeitete ihre Lebenserfahrungen in ihren Gemälden und Schriften wie Reisende auf dieser Welt (1992), dem Gedichtband Meine Wahl zu schreiben – ich kann es nicht (2003), Träume ich, dass ich lebe? Befreit aus Bergen-Belsen (2005) und Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz (2014).
Gunta Stölzl Foyer
(1897, München–1983, Zürich)
Gunta Stölzl war maßgeblich an der Entwicklung der berühmten Weberei des Bauhauses beteiligt. Nachdem sie 1919 ihr Studium am Bauhaus in Weimar begonnen hatte, arbeitete sie zusammen mit Marcel Breuer am Afrikanischen Stuhl (1921), dessen Textilien sie freihändig direkt auf den Rahmen webte. Als einzige Frau unter den Bauhaus-Meistern und Leiterin der Dessauer Weberei von 1927 bis 1931 hinterfragte Stölzl die Konnotationen von Textilien als Dekor und „Frauenarbeit“, richtete das Augenmerk auf die technischen Aspekte und hob die Bildsprache der modernen, insbesondere der abstrakten Kunst hervor. Aus politischen Gründen wurde Stölzl 1931 von Ludwig Mies van der Rohe aus dem Bauhaus entlassen.
Teresia Teaiwa Raum
(1968, Honolulu–2017, Wellington)
Teresia Teaiwa wurde als Tochter eines i-Kiribati-Vaters und einer afro-amerikanischen Mutter geboren und wuchs in Fidschi auf. Teaiwa ist international für ihre innovative Arbeit im Bereich der Pazifikstudien bekannt. In ihrer interdisziplinären Forschungspraxis verknüpfte sie künstlerische und politische Ansätze mit zeitgenössischen Themen wie Feminismus und Fidschi-Aktivismus sowie zeitgenössischer pazifischer Kultur und Kunst. Sie ist Autorin des Gedichtbandes Searching for Nei Nim'anoa (1995) und Mitautorin des Theaterstücks Last Virgin in Paradise: A One-Act Play (1993, mit Vilsoni Hereniko).
Awa Thiam Büros
(1950, Senegal)
Awa Thiam ist eine senegalesische Wissenschaftlerin und Vorkämpferin für die Rechte afrikanischer Frauen. Sie promovierte in Kulturanthropologie an der Université Paris 8 Vincennes-Saint-Denis und in Philosophie an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne. Nach ihrer Rückkehr in den Senegal wurde sie Ministerin für Gesundheit und Soziales, Vorsitzende der Kommission für Gesundheit, Bevölkerung, Soziales und Solidarität und Mitbegründerin der Allianz für eine neue Form der Bürgerschaft in Dakar. 1982 gründete sie die Kommission zur Abschaffung sexueller Verstümmelung (CAMS). Ihr einflussreichstes Werk, La parole aux négresses (1978), wurde als Die Stimme der schwarzen Frau. Vom Leid der Afrikanerinnen (1992) ins Deutsche übersetzt.
Haunani-Kay Trask Saal
(1949, San Francisco–2021, Honolulu)
Die Professorin und Dichterin Haunani-Kay Trask, eine visionäre Vorkämpferin der hawai'ianischen Bewegung für größere Souveränität, war Gründungsdirektorin des Kamakakūokalani Center for Hawai'ian Studies an der University of Hawai'i in Mānoa. Als Angehörige der Windward Oahu unterstützte sie die Indigenen Nationen auf internationaler Ebene und verurteilte die Kolonisierung und Entweihung ihres Heimatlandes, dessen Geheimnisse sie vor dem amerikanischen Imperialismus und der Tourismusindustrie schützen wollte. Ihre politische Perspektive hat Trask in zwei Gedichtbänden wortgewandt beschrieben: Light in the Crevice Never Seen (1994) und Night Is a Sharkskin Drum (2002). Zu ihren wissenschaftlichen Publikationen zählen Eros and Power: The Promise of Feminist Theory (1986) und From a Native Daughter: Colonialism and Sovereignty in Hawaii (1993).
Sylvia Wynter Foyer
(1928, Holguín)
Sylvia Wynter ist eine jamaikanische Schriftstellerin, Theoretikerin, Dramatikerin und Kulturakteurin, die in ihrer Arbeit die koloniale Universalisierung des weißen, westeuropäischen Humanismus problematisiert. Multidisziplinär forschend setzt sie sich stattdessen für einen radikalen Humanismus ein, der die Welt aus ihrer Entzauberung erlöst und an Orten der Nonkonformität und des Gemeinsinns zu finden ist – von Bibliotheken bis hin zu den Armen, in die wir uns schließen. Ihre maßgeblichen Werke sind The Hills of Hebron (1992), der Essay ‚Unsettling the Coloniality of Being/Power/Truth/Freedom: Towards the Human, After Man, Its Overrepresentation—An Argument‘ (2003) und We Must Learn to Sit Down Together and Talk About a Little Culture: Decolonizing Essays 1967–1984 (2022), sowie ihr bahnbrechendes unveröffentlichtes Manuskript ‚Black Metamorphosis: New Natives in a New World‘.
He-Yin Zhen Foyer
(1884, Yizheng–ca.1920, China)
Die Theoretikerin, Anarchistin und Herausgeberin der feministisch-anarchistischen Zeitschrift Tianyi bao (1908–9). He-Yin Zhen ist eine Gründungsfigur des chinesischen Feminismus. Ihre Schriften über die globale und transhistorische Beziehung zwischen Patriarchat, Imperialismus, Kapitalismus und Geschlechterunterdrückung wurden als zersetzend aus der Geschichtsschreibung getilgt. Zhen stellte traditionelle Darstellungen von Frauen und moderner Geschichte in Frage und nahm damit intersektionale und transnationale feministische Analysen vorweg. Zu ihren wichtigsten Artikeln zählen ‚On the Question of Women's Liberation‘, ‚Economic Revolution And Women's Revolution‘, ‚On Feminist Antimilitarism‘ und ‚The Feminist Manifesto‘ (alle 1907).
May Ziadeh Bibliothek
(1886, Nazareth–1941, Kairo)
May Ziadeh, in Palästina als Tochter eines libanesischen Vaters und einer palästinensischen Mutter geboren, ist eine der wichtigsten Vertreterinnen der literarischen Renaissance in der arabischen Literatur. Sie war eine frühe Verfechterin feministischen Denkens, Journalistin, Dichterin, Romanautorin, Literaturkritikerin und Übersetzerin. 1911 gründete Ziadeh einen wöchentlichen Salon, der über zwanzig Jahre in der Hochphase der ägyptischen antikolonialen Bemühungen politisch aktive Männer und Frauen zusammenbrachte. Zu ihren herausragenden Werken zählen Sawâneh fatât [Teller mit Krümeln], Al-Musâwât [Gleichheit], die Biografien dreier prominenter Feministinnen, Bahithat al-Badiyah (1920), Warda al-Yaziji und Aʼishah Taymur (beide 1926), sowie die französischsprachige Gedichtsammlung Fleurs de rêve (1911).