Alyssa Regent
Émergence (2024, Deutschlandpremiere)
Rebecca Lane: Flöte, Joshua Rubin: Bassklarinette, Weston Olencki: Posaune, Caitlin Edwards: Violine, Rebekah Heller: Dirigat

Auf Wunsch der Komponistin gibt es zu diesem Werk keine weiteren Informationen.

Nyokabi Kariũki
The Colour of Home (2021, Deutschlandpremiere)
Levy Lorenzo: Perkussion

Die Komponistin über ihr Werk:

The Colour of Home ist ein zehnminütiges audiovisuelles Werk, das von drei Mutterfiguren aus dem jeweiligen Leben der Beteiligten inspiriert ist: Nyokabi Kariũki (Komponistin), Chris O’Leary (Fixed-Media-Perkussionist) und Eucalyptus Segovia-Breaux (Filmemacher*in). Die Mutterfiguren stammen aus verschiedenen Ländern, sie sind in Kenia, den Philippinen und El Salvador aufgewachsen. Sie eint jedoch ihre jeweilige Einwanderungsgeschichte, die sie in die USA brachte.

„Welche Farben erinnern Sie an Ihre Heimat? Was war der Moment, in dem Ihnen zum ersten Mal bewusst wurde, dass Sie alles hinter sich gelassen haben? Und was erhoffen Sie sich für Ihre Kinder, wenn sie hier in Amerika aufwachsen?“, werden die Interviewten gefragt. Sie antworten auf diese Fragen in ihrer jeweiligen Sprache – auf Kikuyu, Tagalog, Spanisch und Englisch. Dabei heben sie verschiedene Aspekte hervor: ihre Schicksalswege und Entbehrungen als migrantische Eltern ebenso wie die Tatsache, dass ‚Heimat‘ mehrere Bedeutungen gleichzeitig haben kann.“

Jalalu-Kalvert Nelson
Rotations III (2017/2021)
Joshua Rubin: Bassklarinette, Jonathan Finlayson: Trompete

Der Komponist über sein Werk:

„Dies ist das dritte Werk in meiner Rotations-Reihe, in der ich Improvisation mit komponierter Musik kombiniere. Die Klarinette spielt vollständig komponierte Musik, während die Trompete mit sowohl improvisierter als auch komponierter Musik um sie herum ‚rotiert‘.“

Leila Adu-Gilmore
Freedom Suite (2014)
Damian Norfleet: Stimme, Joshua Rubin: Klarinette, Rebekah Heller: Oboe, Caitlin Edwards: Violine, Leila Adu-Gilmore, Stimme, Klavier

Die Komponistin über ihr Werk:

„Dieser Liederzyklus besteht aus Stücken, die ich im Verlauf von sieben Jahren in den USA schrieb. Im Jahr 2020 schien das Werk an Aktualität zu gewinnen, da ich weiterhin in einem Land und in einer Welt lebte, die einen immer zerrisseneren Eindruck auf mich machten. In den beiden für das heutige Programm ausgewählten Liedern „Negative Space“ und „Ghost Lullaby“ geht es um Polizeigewalt sowie Gewalt durch strukturellen Kolonialismus und Rassismus in der eigenen Umgebung, die durch den Einfluss einer monolithischen ‚westlichen‘ Kultur und Bildung noch verschärft wird. Wie ich in meinem ursprünglichen Programmhinweis aus dem Jahr 2014 erklärte:

Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich Lieder und Improvisationen für Klavier und Gesang geschrieben, aufgeführt und aufgenommen. Manchmal ist die Begleitung sehr simpel gehalten. In Freedom Suite habe ich drei Lieder auf unterschiedliche Weise mit dem Ziel arrangiert, ihre ursprüngliche Einfachheit auf unterschiedliche Art für jedes Lied einzufangen. [...] Das zweite Lied, „Ghost Lullaby“, habe ich geschrieben, als ich in die Stadt Princeton in New Jersey kam und feststellen musste, dass nur ein paar wenige Menschen die amerikanischen Ureinwohner*innen erwähnten und dass niemand über den Stamm sprach, der einst die Region bewohnt hatte, in der wir lebten. Das dritte Lied, „Negative Space“, habe ich geschrieben, als ich von der Ermordung von Trayvon Martin hörte. Er spricht das Vakuum an, das für viele Schwarze Menschen durch die anhaltenden Auswirkungen von Kolonialismus, Sklaverei, Gefängnis und Justizsystem entstanden ist.

Für mich als ghanaisch-britische Pākehā (Neuseeländerin europäischer oder Nicht-Māori-Abstammung) kann sich die Situation in den USA extrem anfühlen. Doch die Gründe dieser systemischen, kolonialistischen Übel verursachen weiterhin Probleme für unsere Welt und unsere Zukunft. Im Kontext klassischer Musik sind sie wirkmächtig, weil inklusive und kollektive Stimmen weiterhin kreativ sein, aufklären und positive Veränderungen herbeiführen können.“

Corie Rose Soumah
Limpidités IV, für Solo-Violine (2022, Deutschlandpremiere)
Caitlin Edward: Violine

Die Komponistin über ihr Werk:

„In diesem Stück habe ich im Anwendungsbereich von Klanglandschaften, Erscheinungen und Körpern sieben verschiedene Kadenzen in Beziehung zu meiner eigenen Stimme, der Stimme der Interpretin und der Stimme der Violine skizziert. Limpidités IV erforscht die drei genannten Zustände mittels komplexer Virtuositäten, die auf der Violine abgebildet werden. Das schließt unendliche Enden, Schichten unwahrscheinlicher Topografien und plastische Intimität mit ein. In Wirklichkeit handelt es sich dabei aber nur um espaces fictifs (fiktive Räume).

Während die Dinge dahinschmolzen, während du neben mir leise atmetest, hörte ich, wie sich die Violine in deinem Körper ausbreitete, ein langer Strich des Lebens, der mit der Frische ungeflochtener Träume in deine Lunge fiel. Fast hätte ich mir das ewige Leben gewünscht, für einen kurzen Moment.“

Hannah Kendall
when flesh is pressed against the dark (2024, Deutschlandpremiere)
Damian Norfleet: Stimme, Joshua Rubin: Bassklarinette, Jonathan Finlayson: Trompete, Weston Olenck: Posaune

Die Komponistin über ihr Werk:

Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen Mächte und Gewalten, gegen die Weltherrscher dieser Finsternis, gegen die bösen Geister in den himmlischen Bereichen.
– Epheserbrief 6:12

when flesh is pressed against the dark ist ein Zitat aus Ocean Vuongs Roman Auf Erden sind wir kurz grandios. Die Zeile erinnerte mich an Hortense J. Spillers’ Essay ‚Mama’s Baby, Papa’s Maybe. An American Grammar Book‘ und speziell an Spillers’ Überlegungen zu ‚gefangenem Fleisch‘ in der Mittelpassage. Sie schreibt: ‚Die gefangene Persönlichkeit wusste nicht, wo sie sich befand, wir könnten sagen, dass sie kulturell ‚unberührt‘ war, mitten in eine metaphorische Dunkelheit geworfen, die ihr Schicksal einem unbekannten Verlauf ‚aussetzte‘.‘

Meine Komposition ist eine Meditation über diesen ozeanischen Schwebezustand. Kleine Musikboxen transportieren geheimnisvolle Melodien wie aus weiter Entfernung in den Laderaum des Schiffes; das nautische Signal einer Bootsmannpfeife wird verzerrt; unbekannte Wesen aus unbekannten Zeiten versuchen, zu kommunizieren und die Störungen durch Funk zu stören.“

Andile Khumalo
Schau-fe[r]n-ster II (2014)
Jacob Greenberg: Klavier

Der Komponist über sein Werk:

Schau-fe[r]n-ster II ist Teil einer Reihe von Klavierwerken, in der ich verschiedene Ansätze zur Konzeption von Musik für Tasteninstrumente untersuche. Der Titel dieser Serie besteht aus einer Kombination zweier deutscher Begriffe, Schaufenster und aus der Ferne schauen. Sie verliehen dem Kompositionsprozess eine kritisch-poetische Bedeutung und offenbaren verschiedene Einflüsse, die meinen kompositorischen Ansatz prägten. Sie lösten den Gedanken einer detaillierten Auseinandersetzung oder einer erhöhten Sensibilität für das Beobachten beziehungsweise Zuhören aus. Die Komposition stützt sich stark auf die Verwendung von Klangfarben als Grundlage der musikalischen Komposition, ein Ansatz, der in der Musik der südafrikanischen Xhosa weit verbreitet ist und doch selten als einer der spannenden Aspekte afrikanischer Musik hervorgehoben wurde.

Dieses Stück stellt eine tiefgehende Erkundung der Vielseitigkeit des Klaviers dar, das sowohl als perkussives wie auch als orchestrales Instrument verwendet wird. Das Ergebnis ist eine einzigartige Mischung aus intimen Klängen, die zart aus verblassenden Farbnuancen auftauchen und neue Klangbilder schaffen, die die Musik vorantreiben. Besonders fasziniert mich der Gedanke, wie einige Sätze auf die ineinandergreifenden Techniken des afrikanischen Xylofonspiels verweisen und so die klanglichen Möglichkeiten des Klaviers erweitern. In anderen Sätzen (insbesondere im dritten) finden sich Bezüge zu meinen afrikanischen Traditionen. In einigen Sätzen wird dies mit Einflüssen aus der spektralen Musik beziehungsweise der französischen Schule des Nachdenkens über Klang kombiniert und verwischt, aber auch durch die von den amaXhosa verfolgten Ansätze im Umgang mit Klangfarbe ergänzt. Dieses vielschichtige komplexe Klangbild lässt das Klavier als ein viel größeres Instrument erscheinen. Wirklich beeindruckend ist, wie das Publikum in den Raum projizierte Klänge wahrnimmt, was die Illusion eines von einem Ensemble gespielten Werks erzeugt und ein ebenso immersives wie expansives Erlebnis bietet.“

Charles Uzor
Elegy for Marianne Schatz, für Solo-Violine und Elektronik ad lib (2024, Deutschlandpremiere)
Caitlin Edwards: Violine, Charles Uzor: Elektronik

Der Komponist über sein Werk:

„Die Geschichte meiner Elegy ist selbst recht elegisch. Marianne Schatz war eine Musikmäzenin, die ich seit vielen Jahren kannte. Ich sah sie immer wieder bei Konzerten zeitgenössischer Musik umherhuschen, was mich angesichts ihres fortgeschrittenen Alters verwunderte. Es hieß, sie habe Geld, was mich natürlich auf Distanz hielt. Jahrelang beschränkte sich unsere Kommunikation auf ein schüchternes „Guten Abend“.

Dann erhielt ich einen Brief, in dem sie mich bat, einige Gedichte zu vertonen. Es waren die Gedichte ihrer längst verstorbenen Jugendliebe, die sie kürzlich wiederentdeckt hatte – vielleicht kurz vor dem Vergessen, eine Wiederentdeckung dessen, was ihr einst wichtig gewesen war. Ich zögerte, sagte aber schließlich zu. Es fiel mir allerdings schwer, diese Lyrik mit ihren apokryphen Bildern von Mensch und Natur in Musik zu übersetzen.

Das Schicksal nahm eine plötzliche Wendung, als Marianne Schatz nach nur wenigen weiteren Begegnungen starb, ohne dass ich mein Versprechen einlösen konnte, die Komposition rechtzeitig zu vollenden. Die vier Jahre nach ihrem Tod geschriebene Elegy stellt eine ‚Abrechnung mit einer Partitur‘ dar, die posthume Erfüllung eines Versprechens und das Zeugnis einer Anziehungskraft, die die Hürde der Fremdheit überwand. Das Stück erscheint mir wie die Verbindung zwischen einem Schwarzen Mann und einer ‚weißen‘ Frau, die diese Erde im hohen Alter verlassen hat.

Das Klangmaterial besteht aus einfachen, minimalen Gesten: Am Anfang und am Ende gibt es Doppelgriffe mit großen Intervallen, in denen vielleicht die Musik von Anton Webern nachklingt. Im ausgedehnten Mittelteil entsteht ein Fluss von aufsteigenden vier- bis sechstönigen Motiven, die sich in unvorhersehbaren Algorithmen zu zwölftönigen Permutationen steigern. Deren unterschwelliges Pulsieren wirkt wie die Hoquetus-Rhythmen der Ba-Benzélé in Kamerun. An dieser Stelle, in der Mitte des Stücks, wo das Wiegenlied dem Puls der Violine entspricht, erinnere ich mich an diesen seltsam schönen Rhythmus eines mir fremden Volkes und frage mich:

what is (not) mine, who do I belong to (not)?
(was ist [nicht] meins, zu wem gehöre ich [nicht]?)“

Jessie Cox
(Noisy) Black/blackness (Unbounded) (2024, Weltpremiere)
Fay Victor: Stimme, Damian Norfleet: Stimme, Joshua Rubin: Klarinette, Jonathan Finlayson: Trompete, Levy Lorenzo: Perkussion, Caitlin Edwards: Violine

Der Komponist über sein Werk:

„In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit der Geschichte von einfarbigen quadratischen Gemälden und ihrer Entsprechung in der Musik. Die Geschichte der Malerei schwarzer Quadrate ist mit Fragen des Schwarzen Lebens und der Schwärze als Form der Abstraktion verbunden. Im 19. Jahrhundert malte Alphonse Allais ein quadratisches schwarzes Gemälde, Combat de Nègres dans une cave pendant la nuit. Dieser rassistische Witz ist Teil eines Wahrnehmungsanspruchs, der das ‚Andere‘ im Quadrat fixiert und ein Regime von Wahrheit, Wissen, Interpretation, Subjektstatus zulässt. In musikalischer Hinsicht warf das schwarze oder einfarbige Quadrat (Allais malte auch andere einfarbige Quadrate) Fragen zum Sujet der Stille auf, zumal Allais das erste stille Musikstück schrieb. 4'33'' (1952) von John Cage ist das berühmteste stille Stück der Musikgeschichte, und es stellt ein musikalisches Korrelat zu Gemälden dar, die aus schwarzen Quadraten bestehen, sowie zur abstrakten Malerei des 20. Jahrhunderts insgesamt.

Von besonderer Bedeutung für mein Nachdenken über diese Geschichte als eine Frage der Schwärze ist Charles Uzors 8'46'' George Floyd in Memoriam (2020), das aus zwei verschiedenen Arten von Stille besteht: eine mit Atemgeräuschen und eine ohne Atemgeräusche. Aus heutiger Perspektive könnten wir eine Kontinuität dieser Verbindung zwischen dem Visuellen und dem Akustischen im digitalen Bereich postulieren: Die Konzepte des weißen Rauschens (alle Frequenzen sind gleichermaßen präsent) und des schwarzen Rauschens (Stille) im Bereich des Klangs stammen aus der Welt des Visuellen, der Fotografie, und sind auf ein falsches Verständnis der Zusammensetzung von weißem Licht zurückzuführen.

Für mich ist die Frage, die sich angesichts von Schwarzer liveness stellt, folgende: Was geschieht, wenn diese Abstraktion namens ‚Schwärze‘ aus ihrer Begrenzung ausbricht und beginnt, Erscheinung, Wahrnehmung, Sinn und Bedeutung neu zu definieren? Was Schwärze als Verwischung der Unterscheidung zwischen Hörbarem und Unhörbarem, Klang und Stille, Abstraktion und Repräsentation, Objekt und Subjekt, Betrachter*in und Kunstwerk erkennen lässt, ist eine Undurchsichtigkeit, die in ein Regime absoluter Hörbarkeit eingeführt wird. Auf musikalischer oder künstlerischer Ebene lautet die Frage dementsprechend, wer zu Wort kommt, wer eine Stimme haben darf. Es ist kein Zufall, dass Schwarze Stimmen gleichzeitig ausgelöscht und appropriiert werden, dass Schwarze Klänge gleichzeitig ausgelöscht und dämonisiert werden, dass Schwarze Klänge sich einer anti-Schwarzen Welt anpassen müssen, um ihren Anspruch auf Legitimität zu erheben. In diesem Sinne gestaltet das Musizieren Schwarzer Leben – als die liveness der Abstraktion im Quadrat, als die Unbegrenztheit der Schwärze – die gesamte Welt von Neuem.“