Umrahmt von zwei Filmen setzen sich David Scott und Layla Zami mit der Geschichte der Revolutionen in der Karibik auseinander, und zwar durch Call-and-Response, ein musikalisches Format, das tief in der radikalen Schwarzen Tradition verwurzelt ist.

In Zusammenarbeit mit der RTG Minor Cosmopolitanisms, Universität Potsdam, wo David Scott im Sommer 2023 Mercator Fellow ist

18:00
Negus – Lee ‘Scratch’ Perry
Invernomuto, Italy 2013, 11', jamaikanisches Englisch

Anhand des ambivalenten und vielschichtigen Vermächtnisses von Äthiopiens letztem Kaiser Haile Selassie I. erforscht das cross-mediale Projekt Negus (2011–2016) die Verschmelzung von Geschichte, Mythos und Magie. Verkörpert durch Lee „Scratch“ Perry – Wegbereiter des Dub und Begründer der Reggae-Kultur – beschwört der Film einen spirituellen Geist, der über Black Ark schwebt, Perrys Aufnahmestudio in Kingston, Jamaika, das er in den 1980er Jahren niederbrannte. In einer zentralen Szene des Films wird Perry zum Meister der rituellen Feuerzeremonie, die in der Heimatstadt von Invernomuto, im norditalienischen Vernasca, durchgeführt wird, um den Geist von Haile Selassie I. zu rufen. Im faschistischen Italien unter Mussolini wurde Selassie als Schwarzer Teufel dargestellt. Gleichzeitig entstand in Jamaika die Rastafari-Bewegung, die Selassie als ihren lebendigen Gott und auferstandenen Schwarzen Christus ansah. Das Projekt entfaltet sich in einer zyklischen Zeit: Seine Schauplätze (Italien, Äthiopien und Jamaika) fließen ineinander, reflektieren eine komplexe, miteinander verwobene und unendliche Vielfalt von Gemeinschaften, Ideologien und Mythologien.

18:30
Call-and-Response: eine musikalische Keynote mit David Scott und Layla Zami
Gespräch (auf Englisch)

Der Kolonialismus – mit seinen weltweit unterschiedlichen Ausformungen von Gewalt – hat nicht nur Infrastrukturen, die Verteilung von Ressourcen und die Politik geprägt, sondern auch das akustische Feld, in dem Menschen sich bewegen. Im Zeitalter einer formalen Dekolonisierung waren Musiker*innen aus kolonisierten Räumen in erster Linie Aktivist*innen, die ihre Kunst dazu benutzten, ihren gesellschaftlichen Visionen Ausdruck zu verleihen. Ihre Musik war Teil des antikolonialen Kampfes und muss auch als solche verstanden werden. Auf einer Reise durch afrodiasporische Klangwelten erkunden David Scott und Layla Zami zusammen mit dem Publikum das Bestreben nach Solidarität und Gemeinschaft über die Praxis des Call-and-Response.

Die Playlist versammelt jamaikanischen Ska und Reggae aus den 1960er und 70er Jahren, kuratiert von David Scott, der sich auf eine Reise durch das ‚Sonic Vernacular‘, die Klangwelten des postkolonialen Jamaika begibt. Die Auswahl setzt mit den frühen Anfängen des Ska ein, wobei mit dem Track „Simmer Down“ des jungen Bob Marley auf dessen ambivalentes Verhältnis zu seinem Mentor Lee Scratch Perry verwiesen wird. Perry sagte einmal, er sei aufgewachsen mit „Revolution in meinem Hirn, Revolution in meinen Beinen und Revolution in meinem Kopf.“ Dieser Kampf und die Wachstumsschmerzen einer jungen Nation, die aus einer Geschichte der Gewalt unter britischer Kolonialherrschaft hervorgegangen ist, drückt sich in zahlreichen musikalischen Kollaborationen aus und hat den Sound von Dennis Brown, Gregory Isaacs oder Burning Spear geprägt. Die Playlist erzählt auf andere Weise von Orten, Begegnungen und Austausch sowie von kultureller Zusammenarbeit im Nachgang einer Revolution.

Die Playlist auf Spotify

20:30
PICO: Un Parlante de África en América
Invernomuto, Jim Christopher Nedd, Italien/USA 2017, 60', Spanisch mit engl. UT

Der Dokumentarfilm erkundet den gewaltigen kulturellen Reichtum des Picó: auffällig bemalte Holzkonstruktionen, in denen die mächtigen Soundsysteme stecken, mit denen die Straßen, Bars und Restaurants der afro-kolumbianischen Städte Barranquilla und Cartagena beschallt werden. Der Film bringt verschiedene Akteur*innen zusammen, die an der Herstellung und Verbreitung des Picó beteiligt sind, und spürt dem Vermächtnis der transatlantischen Versklavung nach. Es ist kein Zufall, dass der Picó hier entstehen konnte, denn dieser Teil der Atlantikküste ist ein Schnittpunkt zahlreicher afrikanischer und indigener Kulturen. Die Sehnsucht nach einer lebendigen, ästhetischen und tragbaren Heimat brachte einen Sound hervor, der die verschiedensten Ursprünge widerspiegelt. Der Picó wird zum Vehikel von Sprache und Rhythmus der Diaspora, vereint eine Vielzahl von Subjektivitäten, die durch Tanz, Musik und Kollektivität zu eigener Kraft finden.

 

Weitere Veranstaltungen mit David Scott:

Sa., 3.6.2023 16:00
Between Revolution and Repair: Rereading Walter Rodney’s “How Europe Underdeveloped Africa
Keynote Lecture

Fr., 7.7.2023 16:00–20:00
on movement(s) and collectives—Black Radicals in/and Berlin
Keynote-Gespräch