Am 2. August 2024 wäre James Baldwin 100 Jahre alt geworden. Wenige Schriftsteller*innen übten über die Generationen hinweg einen solchen Einfluss auf die Gesellschaft aus wie er. Das Festival What Would James Baldwin Do? feiert den Romanautor, Essayisten, Dramatiker, Poeten und Menschenrechtsaktivisten. Drei Tage lang widmet es sich im Literarischen Colloquium Berlin (6. & 7. September) und im Haus der Kulturen der Welt (8. September) den vielen Facetten von Baldwins Werk: seiner Prosa, die ihn zum Weltstar machte, seinen bemerkenswerten und doch weniger bekannten lyrischen Texten, seinen Theaterstücken und seinem Leben in der Türkei, den Filmen, für die er vor der Kamera stand, und der Musik, die ihn inspirierte. Und nicht zuletzt wird getanzt und auf seinen Geburtstag angestoßen. Dieses Fest lädt mit seinen Lesungen, Diskussionsrunden und Theaterperformances dazu ein, unsere Gegenwart im Werkspiegel des großen Dichters und Denkers anzuschauen. 

Das vollständige Festivalprogramm auf whatwouldjimmydo.de 

Programm

15:00
Gespräch
Gegenwartsbewältigung: Max Czollek im Gespräch mit René Aguigah
auf Deutsch, Simultanübersetzung ins Englische und in Deutsche Gebärdensprache (DGS)
Ticket erforderlich

Im Rahmen der HKW-Gesprächsreihe Gegenwartsbewältigung spricht Max Czollek mit dem Kulturjournalisten und Autor René Aguigah über dessen jüngst erschienenes Buch James Baldwin: Der Zeuge. Ein Portrait. Aguigahs essayistisches Buch begibt sich auf die Suche nach dem, was Baldwin, einer der wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, für eine Bewältigung unserer Gegenwart beitragen kann. Im Zentrum stehen Fragen nach dem Verhältnis zwischen Künstlertum und Aktivismus, der Spannung zwischen Literatur und Politik, die Vermittlung zwischen einem Eintreten für Minderheiten und einem universalistischen Handlungshorizont. Baldwin, der Hass so gut kannte, hielt in seinen Romanen und Essays an der Liebe fest. Aguigah porträtiert ihn als Zeugen einer Zeit der Gewalt und des Unrechts, die bis heute fort existieren. Und einer Hoffnung darauf, dass die Dinge besser werden, deren Geschichte nicht minder bis in die Gegenwart reicht.

17:00
Video Lecture
Magdalena J. Zaborowska: James Baldwin’s Turkish Decade
auf Englisch

Dieser Kurzvortrag untersucht, wie James Baldwins Aufenthalte in der Türkei in den 1960er Jahren seine Ansichten über Sozialität, nationale Identität, Ethnizität und Sexualität beeinflussten und sein Verständnis des Amerikanischseins im Ausland prägten. Zaborowska argumentiert, dass Baldwins türkisches Jahrzehnt (1962–72, mit Unterbrechungen) und seine Beziehungen zu Künstler*innen und Intellektuellen in Istanbul einen wesentlichen Beitrag zum aufkommenden Feld der transnationalen afroamerikanischen Studien leisteten. Durch die Analyse von Baldwins Diskursen über Erotik und Exil und deren Verortung im Dialog zwischen der Türkei und den USA zeigt sie, wie sein revolutionäres Werk einschränkende Vorstellungen von rassifizierter Autorschaft, Ort und nationaler Identität sprengte.

17:15
Lecture Performance
„Because you don’t understand that you, for me, are my prisoner“
Regie: Gürsoy Doğtaş, Performer*innen: Ahmet Demir, Deniz Karslıoğlu, Mesut Özdemir, Adir Jan
auf Türkisch, Simultanübersetzung ins Deutsche

Am 23.12.1969 inszeniert James Baldwin das Stück Fortune and Mens Eyes (türkischer Titel: Düşenin Dostu) des kanadischen Dramatikers John Herbert für das Gülriz Sururi-Engin Cezzar Theater in Istanbul. Die gesamte Handlung von Düşenin Dostu spielt in einer Gefängniszelle einer Jugendstrafanstalt. Sein Regiedebüt feiert in Istanbul einen bemerkenswerten Erfolg und geht anschließend auf eine landesweite Tournee. Das Stück überzeugt das Publikum auch deshalb, weil Baldwin sich mit Gefängnissen auskennt. Er saß selbst im Gefängnis ein, manche Protagonisten seiner Romane sind Inhaftierte und immer wieder engagiert er sich für die Freilassung von Insass*innen, sei es in den USA oder in der Türkei. Die Lecture Performance von Gürsoy Doğtaş versammelt Szenen dieses Engagements.

18:30
Prolog zum Film
Oliver Hardt: On Camera – James Baldwin und das Kino
auf Deutsch

„Die Sprache der Kamera ist die Sprache unserer Träume“, schreibt Baldwin in seinen 1976 erschienen Kinoerinnerungen The Devil Finds Work. Das Kino hat Baldwin seit seiner Kindheit beschäftigt. Er wusste um die Verführungskraft der Bilder und Geschichten, im Guten wie im Schlechten. Und er hat dieses Wissen genutzt: in seinen scharfsichtigen Analysen des Hollywoodkinos und als pointierter Akteur vor der Kamera in zahlreichen Dokumentarfilmen und Fernsehauftritten.

18:45
Film
I Heard it through the Grapevine
Dick Fontaine, 1982, USA, 91'
mit James Baldwin, David Baldwin, Amiri Baraka, Chinua Achebe
Dokumentarische Form | Restaurierung des Harvard Film Archive
Englisch mit deutschen Untertiteln

Zwei Jahrzehnte nach der Bürgerrechtsbewegung begibt sich James Baldwin noch einmal an die historischen Schauplätze – von Selma und Birmingham (Alabama) bis Atlanta (Georgia), zu den Stränden von St. Augustine (Florida) und zum Martin-Luther-King-Memorial in Washington, D. C. Auf dieser Reise der Erinnerung spricht er mit Freund*innen, Aktivist*innen und Schriftsteller-Kolleg*innen wie Amiri Baraka, Oretha Castle Haley und Chinua Achebe über die Ereignisse, die den Kampf gegen die Rassentrennung in Gang gesetzt haben, wie etwa die Angriffe auf Kirchen, die rassistische Polizeibrutalität, Willkür und Unrecht, die die Schwarze Bevölkerung ertragen musste. Recht skeptisch blicken diese Lichtgestalten auf ihre Gegenwart und die wenigen Errungenschaften, die von damals geblieben sind; auch wir als Zuschauer*innen bekommen Gelegenheit, über unsere Ära nachzudenken. Dick Fontaine mischt geschickt Archivmaterial zwischen die Berichte. So wird der Film zu einem schmerzhaften historischen Dokument, das sich im Kontext der Black-Lives-Matter-Bewegung als heute noch relevant erweist.