Knochenflöte. Über Wilson Harris, karibische Omen der Kapazität und die Quantenkünste
manuel arturo abreu
Lecture Performance
Fr., 1.11.2024
21:00
Angie Stardust Foyer
Auf Englisch
Eintritt frei
In einem performativen Vortrag mit improvisiertem Sound erkundet manuel arturo abreu die Quantenästhetik anhand der Quantenfiktion von Wilson Harris, insbesondere dessen Konzept der karibischen Knochenflöte als Gegenerzählung zur katholischen Eucharistie und der Tyrannei der Kohärenz in westlichen Kulturen. Karibische Krieger*innen stellten aus Knochen von respektierten Feind*innen Flöten her und führten sie an ihre Lippen, um sie leise zu spielen oder so zu tun, als würden sie spielen. Es wird angenommen, dass der rituelle Verzehr von Knochen Stärke verleiht, da man die Geheimnisse der Macht der Feind*innen in sich aufnimmt. Dieses Ritual und seine leisen Klänge stehen im Gegensatz zur katholischen Transsubstantiation, bei der Wein und Brot tatsächlich als das Fleisch und Blut Christi fungieren.
In Harris’ Quantenfiktion hat die von der karibischen Vorstellungskraft produzierte Kunst eine nichtlineare zeitliche Wirkung, die das Siegel der kolonialen linearen Zeit bricht. Diese Wirkung reicht zurück bis zu den Omen der Kapazität, die im Zusammenprall der Kulturen und in den unterdrückten Taktiken und Ontologien des Widerstands verborgen liegen. Durch die unendliche Erprobung von verschränkten Kräften, Friktionen, Fiktionen, Fissuren und Gewalten wird eine karibische Perspektive auf die Quantenästhetik ermöglicht. Vor diesem Hintergrund nimmt abreu Figuren wie Yutaka Matsuzawa, Pauline Oliveros und Anicka Yi sowie Kollektive wie Black Quantum Futurism und das Album Organic Music Theatre (1972) von Don und Moki Cherry in den Blick.
Wilson schreibt in History, Fable and Myth in the Caribbean and Guianas (1970): „[...] die Wellen von Aktionen, die seit der europäischen Renaissance von vielen Bewegungen und Kontinenten ausgingen, kommen in dermaßen schnellen und dichten Abständen, dass der ‚Realismus‘ selbst zu einer Sackgasse wird und die Notwendigkeit eines Bewusstseinstheaters zu dämmern beginnt, das durch die Erschütterungen von Ort und Zeit hindurch nach Omen der Kapazität sucht, nach Schwellen von Kapazitäten, die im Zusammenprall der Kulturen und Bevölkerungsbewegungen in und nach Südamerika und den Westindischen Inseln verborgen geblieben und unverwirklicht waren.“