Die Freiheit, zu leben. Die Freiheit, ja zu sagen. Die Freiheit, nein zu sagen. Die Freiheit, zu lieben. Die Freiheit, anderen auf die Nerven zu gehen. Mit diesen Worten beginnt unser Editorial zur 4. Ausgabe von PREE: Caribbean Writing, die unter dem Motto stand „In a Free State“ – „in einem freien Staat“, aber auch „im Zustand der Freiheit“. Diesem Statement möchten wir aktuell hinzufügen: Die Freiheit, zu schreiben. Die Freiheit, kreativ zu sein. Die Freiheit, zu reisen. Die Freiheit, frei zu sein – wobei das Verb „schreiben“ eine ganze Bandbreite an Ausdrucksformen in sich vereint, von Text über Video und Sound bis zu bildender Kunst und jedem anderen Medium, das Menschen der Karibik in den Sinn kommt, wenn sie in PREE etwas veröffentlichen wollen.

Im Verlauf der letzten hundert Jahre haben Autor*innen aus Haiti, den Bahamas, Puerto Rico, Trinidad, Kuba, Jamaika und über die gesamte Region und ihre Diaspora hinweg Worte zum Einsatz gebracht, um Bewusstsein für wichtige Themen zu schaffen: koloniale Unterdrückung, Ungleichbehandlung der Geschlechter, Entfremdung und Identität, Umweltzerstörung. Kunst zu machen war in der Karibik nie unpolitisch und Sprache ist die letzte wichtige Bastion, die es zu schleifen gilt – was sich auf Kreolisch und Patois auch erfolgreich in die Tat umsetzen lässt: Die verkrusteten, von den Europäer*innen hinterlassenen Amtssprachen wurden regelrecht zerpflückt. Von Anfang an war PREE ein Sprungbrett und ein Verstärker für neue Formen des Schreibens über die und aus der Karibik. Schlagender Beweis ist, dass sich auf unserer Plattform eine Reihe karibischer Dialekte und Mundarten findet, die auf dem besten Wege sind, ihren eigenen Stil zu kreieren.

Wie Isis Semaj-Hall in ihrem Essay „A Brief History of the Word ‘PREE’“ konstatiert, hat „PREE eine Art, die Absicht der Sprecherin wie des Zuhörers, des Autors wie der Leserin zu erfassen. Jeder Englisch sprechende Mensch kann mit den Worten ‚Schau her!‘ oder ‚Hör zu!‘ signalisieren, dass sich irgendwo etwas tut. Aber pree als ein Verb, das die Aufmerksamkeit auf sich zieht, hat etwas speziell Karibisches, gerade in seiner heutigen Bedeutung. PREE verortet die oder den User als karibisch, mit der Intention, Beobachtungen, provokative Aussagen und ein Verständnis der karibischen Welt mitzuteilen und damit zu teilen.“[1]

Als eine kleine Gruppe von uns 2018 PREE ins Leben rief, war es unser erklärtes Ziel, in das literarische Ökosystem der Karibik einzugreifen, und zwar in einer Art und Weise, die junge und aufstrebende Autor*innen – speziell solche aus der anglofonen Karibik – als hilfreich und produktiv empfinden würden. Was, fragten wir uns, fehlte in der literarischen Landschaft? Es gab extrem erfolgreiche Literaturfestivals, verschiedene gut etablierte Schreibseminare und Stipendien, prestigeträchtige Preise und Auszeichnungen – aber wo waren die literarischen Veröffentlichungsmöglichkeiten?

Wenn man Agent*innen, Herausgeber*innen, Redakteur*innen und Verleger*innen auf karibische Nachwuchsautor*innen aufmerksam machen wollte, worauf konnte man sie verweisen? Diese Lücke haben wir versucht, mit PREE zu füllen: ein frei zugängliches, genuin digitales Magazin der Gegenwartsliteratur aus der und über die Karibik. Was wir wollen, ist ein Sprachrohr karibischer Kreativität einer bestimmten Art zu sein, ein Vehikel karibischen Schreibens, das über Substanz und Qualität verfügt.

PREEs Ansatz besteht weniger darin, „Westindische Literatur“ zu schreiben (damit haben sich frühere Generationen verausgabt), sondern karibische Geschichten zu erzählen, aus der Region Geschichten zu formen. Wie gestaltet sich die schriftstellerische Perspektive mehr als 20 Jahre nach der Jahrtausendwende? Gibt es ein neues Schreiben, das unsere kreolischen Landschaften durchweht und belebt? Eröffnen sich neue Horizonte der Leser*innen- und Autor*innenschaft? In welcher Tonlage, mit welcher Stimme, mit welchem Akzent, in welchem Dialekt (be)schreiben wir den Archipel? Kann er so geschrieben werden, wie er gesprochen wird? Der Duktus kreolischer Ausdrucksformen in jeder einzelnen Ausgabe von PREE variiert von Insel zu Insel (eine nicht zu unterschätzende Herausforderung, wenn es ums Redigieren des Materials geht) – mit dem Ergebnis prägnanter Darstellungen des Lebens in der Karibik und den neuen Welten, hervorgezaubert von Sprachen, die Brücken bauen wollen über Unterschiede hinweg.

Die anfängliche Schwerstarbeit wurde von jamaikanischen oder auf Jamaika lebenden Autor*innen geleistet, aber im Lauf der Zeit haben wir Redakteur*innen und Schriftsteller*innen aus anderen Regionen der Karibik eingeladen, unser Team zu verstärken. Aus sprachgeografischen Gründen richteten wir den Fokus auf die anglofone Karibik, weil wir unsere Kapazitäten nicht überstrapazieren oder mehr verschlingen wollten als unsere anglofonen Mägen zu verdauen in der Lage waren. Falls wir überleben sollten, Falls unser Projekt gedeihen sollte, könnten wir unsere sprachlichen Grenzen immer noch erweitern. 

PREE besetzt den middle ground, den Chinua Achebe abgesteckt hat, den gemeinsamen Grund, den Ort dazwischen, der gegenwärtig ist, nicht vergangen, nicht zukünftig, sondern verankert im Hier und Heute. Der virtuelle Raum, den wir zu bieten haben, ist auch derjenige zwischen der inneren und äußeren Karibik, zwischen der Region selbst und ihrer Diaspora. Wir verstehen und als gastfreundliche Herberge, die all jenen ihre Türen öffnet, die auf der einsamen, anstrengenden Reise zu einem Leben als Schriftsteller*in sind.

Das Schreiben selbst ist eine Praxis, die eine oft feindliche und verstörende Gegenwart zumindest verständlich macht. Der Dichter Kei Miller hat kürzlich bemerkt, dass wir in einer polarisierten Welt leben, in der es immer schwieriger wird, inmitten des gnadenlosen Wettstreits zwischen extremistischen Positionen auf verschiedenen Seiten des politischen und sozialen Spektrums einen Mittelweg zu finden. Diesen Weg beschreitet und bereitet gute Literatur, sie eröffnet einen Raum, der Schutz bietet vor der Schwarz-Weiß-Palette, die anderswo dargeboten wird.

Es ist uns daher eine Freude und eine Ehre, den Überschwang karibischer Sprachen und Erzählungen von unserer digitalen Plattform live nach Berlin und auf die Bühne des HKW zur ersten Festivalausgabe von  Middle Ground zu bringen. Unser herzlicher Dank gilt dem Team des HKW für diese unschätzbare Gelegenheit.

 

[1] Isis Semaj-Hall, „A Brief History of the Word ‛PREE’“, PREE: Caribbean Writing (17. April 2018), https://preelit.com/2018/04/17/what-is-pree/.