Mediated Pasts: Caste and Non Brahmin Selfhood in Bharatanatyam Dance
Nrithya Pillai
Performance
Sa., 3.8.2024
16:30–17:30
Safi Faye Saal
Eintritt frei
Auf Englisch mit deutscher Simultanübersetzung
Dauer: 60'
Nrithya Pillais Lecture-Performance ist Teil von Disrupting Protected Ignorance, einer gemeinschaftlich kuratierten Versammlung in Widerstand gegen das Kastensystem, die im Rahmen von Bwa Kayiman – Tout Moun se Moun stattfindet. Durch Bewegung, das Erzählen von Geschichten und den Rückgriff auf Klangarchive beansprucht Pillai die Tanzform Bharatanatyam neu für sich und bringt in diesem Zuge das Erbe ihrer Vorfahr*innen in den Fokus, nachdem es von brahmanischen Mächten gestohlen wurde.
Auf dem Höhepunkt des indischen Freiheitskampfes wurde Bharatanatyam als hindunationalistischer ‚klassischer‘ Tanz neu positioniert und somit von seinen Wurzeln als Tanz an königlichen Höfen und in Tempeln losgelöst. Insbesondere Aufführungen von Frauen aus tanzenden Kasten wurden kriminalisiert, und nach der Unabhängigkeit des Landes wurden derlei rechtliche Eingriffe gesetzlich festgeschrieben. Die Frauen wurden als unmoralisch gebrandmarkt, was nach wie vor unwiderrufliche Schäden und Stigmatisierung nach sich zieht. Diese Aneignung durch die brahmanische Hegemonie verwehrte den Gemeinschaften der Sudra-Kaste einschließlich der Künstler*innen unter ihnen den Zugang zum Tanz, obwohl er in ihrer Mitte seinen Ursprung fand. Nichtsdestotrotz unterrichteten männliche Lehrer aus eben diesen Gemeinschaften weiterhin die Tänzer*innen der dominanten Kaste. Infolge der Diskriminierung war Pillai selbst nie in der Lage, den Tanz direkt von ihrem Großvater Swamimalai Rajarathnam Pillai, einem namhaften Tanzlehrer und Musiker, zu lernen. Im Rahmen ihrer anhaltenden praktischen Forschung hat sie Tonaufnahmen von Schüler*innen ihres Großvaters aus der dominanten Kaste gesammelt, die als brutale Erinnerungen an diese von Brüchen geprägte Vergangenheit fungieren, die ihr heutzutage wiederum nur noch in Fragmenten zur Verfügung steht.
Pillai macht nicht nur auf die Gewalt der unterdrückenden Kaste aufmerksam, sondern nimmt ebenso das Erbe ihrer begabten Vorfahr*innen samt ihrer Geschichte, ihren Errungenschaften und ihren Beiträgen zur indischen Kulturlandschaft in den Fokus. Ihre Lecture-Performance stützt sich auf ein reichhaltiges Archiv dieses Vermächtnisses, darunter Bilder und mündliche Überlieferungen von Tänzer*innen aus ihrer Gemeinschaft, die sie ebenfalls nachdrücklich als ihr rechtmäßiges Erbe für sich beansprucht, indem sie zur Musik ihres Großvaters tanzt. Pillai sieht in dieser Praxis die Gelegenheit, „den Verlust von so vielem anzuerkennen – der Ästhetik, dem musikalischen Repertoire, den intellektuellen Beiträgen – und vor allem den fehlenden Zugang und die fehlende Anerkennung für Frauen wie mich innerhalb unseres Kastenwesens. Darüber hinaus teile ich mit dem Publikum die Art und Weise, in der diese Ausdrucksform für mich in meinem Körper und in meinem Intellekt existiert – als Tanz, den ich nur in vermittelter Form und aus der Vergangenheit erlernen konnte.“
Die Lecture-Performance ist Teil von Disrupting Protected Ignorance, einer Reihe von Aktivierungen, die sich gegen das Kastensystem richten und gemeinsam von Sajan Vazhakaparambil Kolavan Kalyanikutty Mani mit Shaunak Mahbubani kuratiert wurden.