2004: Entfernte Nähen

Das Haus und Islam-Dialoge II

Shahram Entekhabi bei "Entfernte Nähe", "Kilid": Installation im Haus der Kulturen der Welt, (c) Shahram Entekhabi

Die Terroranschläge in Madrid, die vielen Selbstmordattentate im Irak und die Ermordung des Filmemachers Theo van Gogh in Amsterdam gehörten zu den Ereignissen im Jahr 2004, die einmal mehr Bestürzung und Angst vor dem islamistischen Terror auslösten. Und so meldeten sich viele vermeintliche Islam-Experten und Kenner des Mittleren und Nahen Ostens zu Wort, die aber doch oft nur Vorurteile bestärkten und Unterschiede betonten. Das Haus der Kulturen der Welt, immer nah am Zeitgeschehen, ging schon 2003 mit seinem Projekt „DisOrientation“ einen anderen Weg und bot die Gelegenheit, sich mit zeitgenössischen arabischen Künstlern aus dem Nahen Osten und ihren Herkunftsländern differenzierter auseinander zu setzen. Und ein Jahr später, als sich scheinbar alles nur um die MoMA-Ausstellung und die MoMA-Schlange in Berlin drehte, war das ähnlich: Beim Festival „Entfernte Nähe“ konnte man neue Positionen iranischer Künstler kennen lernen und wichtige Denkanstöße bekommen.

Der Iran gilt ja als einer der Förderer des islamistischen Terrors. Wie bequem und gefällig scheint im Vergleich zu Ahmadinedschad und den Mullahs der westlich orientierte Schah, der allerdings auch zahllose seiner Gegner foltern und ermorden ließ. Er und seine Frau waren Meister der Selbstinszenierung, ein Herrscherpaar, das seinen Reichtum nicht versteckte. An sie erinnerte man sich unweigerlich bei dem protzigen Wohnzimmer – bei „Entfernte Nähe“ ein besonderer Blickfang in der Ausstellung – in dem vom Sofa bis zur Stereoanlage alles vergoldet war. Dabei spielte der Künstler Farhad Moshiri damit eigentlich auf die Neureichen in Iran von heute und deren Dekadenz und Konsumrausch an. Dann blinkte da in einer anderen Installation dieser große leuchtende Schlüssel aus Glühbirnen in den iranischen Nationalfarben rot, weiß und grün. Er sollte daran erinnern, dass den Jugendlichen, die im blutigen Krieg gegen den Irak Minenfelder räumten, ein kleiner Plastikschlüssel mitgegeben wurde - als Schlüssel zum Paradies.

Auch den Gotteskriegern wird das Paradies versprochen. Das kann verführerisch sein, aber der angebliche Weg dorthin erlaubt keine Kompromisse und kostet Leben, nicht nur in Krisengebieten wie im Irak. Solche Kompromisslosigkeit führte zur Ermordung des Filmemachers Theo van Gogh. Sein Mörder sah in dessen Film „Submission“ , in dem die Unterdrückung der Frauen im Islam angeprangert wurde, eine Verletzung seines Glaubens und richtete van Gogh mit Pistole und Messer hin - und damit zugleich die Freiheit der Kunst und das Recht auf freie Meinungsäußerung. Im Haus der Kulturen der Welt reagiert man auf derlei besonders sensibel, wurden doch im Jahr 2000 Teilnehmer der durch Skandale erschütterten Konferenz „Iran nach den Wahlen“ der Heinrich-Böll-Stiftung über Reformmöglichkeiten und Reformerfolge bei der Rückkehr in ihr Land als Gegner des Islams verhaftet. 2004 bei „Entfernte Nähe“ wurde wiederum eine ironisch gemeinte Vitrine mit Darstellungen der „Reliquien“ des Ayatollah Khomeni attackiert.

Das Schicksal der Oppositionellen griff die in Frankfurt lebende Parastou Forouhar auf. Ihr Container war ausgelegt mit einem Stoff, dessen Muster aus lauter kleinen Klappmessern bestand. Auch ihre Eltern, die zur Opposition gehörten, wurden 1998 in Teheran ermordet.

Aber es gibt sie, die Schlupflöcher und Freiräume für Andersdenkende und die suchen und finden iranische Künstler in der Mehrdeutigkeit oder in der Ironie. Bei der Fotoserie „Domestic Life“ von Shadi Ghadirian etwa haben traditionell gekleidete Frauen anstelle des Gesichtes Küchengeräte, eine Kritik am Rollenverständnis, die bei allem Ernst schmunzeln lässt. Ironie wählte auch Marjane Satrapi bei ihrem Comic „Persepolis“, der von ihrer Kindheit im Iran handelt. Dessen Verfilmung wurde sogar 2007 in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet.

„Entfernte Nähe“, der Titel reizt zu mehreren Lesarten: Das Verhältnis der Künstler im Exil zu ihrem Heimatland, sowie die Beziehung zwischen den Künstlern, die in Iran bzw. im Ausland leben, untereinander. Und wenn man so will, beschreibt „entfernte Nähe“ den Zustand des Betrachters, der bei den Kunstobjekten, den Fotos, der Musik und den Filmen unvermutet Bekanntes entdeckt. Oder sich einfach angesprochen fühlt und Fragen hat. Was immer auch ein erster Schritt dazu ist, das Andere nicht nur zu werten oder abzuwerten, sondern genaueres darüber wissen zu wollen. Eine gute Grundlage für einen Dialog.
Bettina Göcmener

Bettina Göcmener ist Redakteurin und verantwortlich für das Kulturmagazin der Berliner Morgenpost „Berlin Live“.

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